Blut muss fließen
keine Notwendigkeit sahen, eines vorzeitig zu beenden.
Was den polizeilichen Umgang mit Neonazi-Konzerten betrifft, kann es bei nationalen und internationalen Leistungsvergleichen passieren, dass Versager zum Vorbild für Totalversager werden. Zu diesem schönen Rankingerfolg kam die deutsche Polizei in einem Beitrag des Schweizer Fernsehmagazins Rundschau im Jahr 2005 – im selben Jahr stellte das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz | 174 | einen Anstieg der »rechtsextremistischen Skinhead-Konzerte um rund 40 Prozent« auf 193 Veranstaltungen fest. Nur rund 13 Prozent davon sind dieser Statistik zufolge aufgelöst worden.
Bei der Schweizer Polizei schien eine Auflösung jedoch nicht einmal als theoretische Möglichkeit erwogen worden zu sein, als Blood & Honour am 17. September 2005 in Gamsen, einem Ortsteil von Brig-Glis im Kanton Wallis, ein Ian-Stuart-Memorial gab. Im Ergebnis ging das Konzert aber so über die Bühne, wie ich das bei meinen Drehs in Deutschland ebenfalls erlebt hatte. Die Schweizer Ordnungshüter hatten nicht einmal mitbekommen, dass in der Discothek Crazy Palace das Lied Blut gespielt wurde. Hitlergrüße und »Sieg Heil«-Geschrei gab’s ebenfalls. Die Frage des Schweizer Fernsehens an den Chef der zuständigen Kriminalpolizei, Robert Steiner, lautete: »Hat das Konzert gegen die Anti-Rassismus-Gesetzgebung verstoßen?« Die Antwort sagte alles: »Das kann ich als solches nicht beurteilen, wir sind nicht im Inneren gewesen.« Die Prioritäten seien »auswärts gesetzt« worden und »nicht innerhalb dem Lokal«. Die Polizei ging von einer privaten Feier aus. Karin Keller-Sutter, die Präsidentin der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz, kam als Studiogast des Magazins Rundschau zu einem anderen Ergebnis: »Es ist ein öffentlicher Anlass im Sinne der Anti-Rassismus-Strafnorm, wenn so aufgerufen worden ist, auch zu Hass gegen den Judenstaat.« Auch der Schweizer Strafrechtsprofessor Marcel Niggli kam zu der Einschätzung: »Zweifellos strafbar.« Es handele sich um ein Delikt, für das bis zu drei Jahren Gefängnis drohen würden, »das ist nicht einfach eine Bagatelle«. Karin Keller- Sutter: »Ich glaube, das wäre sicher ein Fall, wo die Strafuntersuchungsbehörden anschauen müssten. Aber in erster Priorität, hätte ich jetzt das Gefühl, müsste man so einen Anlass überhaupt verhindern. Also man müsste verhindern, dass so ein Konzert überhaupt stattfindet.«
Es entstand eine politische Debatte über den Umgang mit Neonazis, sogar die Schweizer Boulevardzeitung Blick berichtete. Und seit damals ist die Schweiz kein Konzertparadies mehr. Zumindest Rechtsrockveranstaltungen mit mehr als 1000 Leuten, wie es sie vorher immer wieder gab, sind mir keine mehr aufgefallen. Die Polizei | 175 | sah sich fortan unter Handlungsdruck, dafür sorgten im weiteren Verlauf Schweizer Journalisten wie der Neonazi-Experte Hans Stutz.
Auch die Ermittlungen gegen die Verantwortlichen des Konzerts in Gamsen im Jahr 2005 führten zu einem Teilerfolg: Am 28. Januar 2010 verurteilte das Walliser Kantonsgericht in zweiter Instanz sechs Personen wegen Rassendiskriminierung. Begründung: Sie seien »maßgeblich an der Organisation und der Durchführung« des Konzerts beteiligt gewesen und hätten »dadurch einer Band die Plattform geboten, das Lied Blut muss fließen mit antisemitischem Inhalt zu spielen und zu singen«.
Eine solche Plattform sollte die Schweizer Band »Indiziert« am 9. Dezember 2006 nicht bekommen – so schien es zunächst. Ihr Auftritt konnte nicht, wie geplant, im Raum Deggendorf über die Bühne gehen, weil der Veranstaltungssaal überraschend nicht mehr zur Verfügung stand. Möglicherweise hatte die bayerische Polizei in Gesprächen mit dem Vermieter dafür gesorgt – in diesem Fall hätte sie ausnahmsweise vorbildlich gearbeitet. Die Neonazis wechselten in der Folge von Niederbayern nach Oberösterreich. Was daraufhin passierte, beschrieb die Polizeidirektion in Straubing in einer Pressemitteilung so: »Die mittlerweile verständigten österreichischen Sicherheitsbehörden übernahmen die eintreffenden Personen in Grenznähe. Dort sollte in einer Discothek das Konzert stattfinden.« Als ich in Mitterding eintraf, hatte die Polizei den schwierigsten Teil ihres Einsatzes bereits hinter sich und den Saal gegenüber der Discothek M1 besetzt. Doch diesem mustergültigen Auftakt folgte ein Desaster.
Während einige Polizisten antraten, um wenigstens die meisten
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