Blut Schatten
lächeln, als er es mir zurück in die Handfläche legte. Es ist ein Schlüssel zu ihrem Herzen, bewahre es gut auf.
Ich hatte die ganze Zeit über diese Träne in der Dattel bei mir getragen? Darian hatte mir gesagt, sie sei von ihm, jedoch nicht ihr Inhalt. Wer hatte die Möglichkeit, eine solche Träne an ihm vorbei unbemerkt in diese Dattel zu legen? Recht wenige.
Zögernd streckte ich die Hand mit der Träne auf der Handfläche aus, berührte mit den Fingerspitzen die Barriere. Sie gab nach. Verwundert erhöhte ich den Druck. Mit einem Mal rutschte meine Hand wie durch eine Gallertmasse. Plötzlich wurde diese Masse hart und spröde. Wo die Träne sie berührte, bekam sie Risse. Erst kleine, dünne, dann immer breiter werdende. Es knirschte. Verschreckt zog ich meine Hand zurück, Darian stob herum, riss mich schützend in seine Arme. Es klirrte, Splitter flogen wie scharfe Geschosse um uns herum. Ich hörte, wie Darian von mehreren getroffen wurde. Und ich bereute bereits, meine Nase in diese Angelegenheit gesteckt zu haben.
Allerdings, hallte es mit der Intensität alter Kirchturmglocken durch meinen Kopf. Ich hob die Hände an die Schläfen, kniff die Augen zusammen. In meinem Kopf hallte es schmerzhaft nach. Da wurde ich abrupt von Darian fortgerissen, die Kraft seiner Arme reichte nicht, mich festzuhalten. Es schleuderte mich von ihm fort. Hilflos sah ich ihn ebenfalls durch die Luft fliegen und zu Boden stürzen.
Auch meine Landung war wenig sanft, und doch wurde ich das Gefühl nicht los, abgefangen worden zu sein. Als hätte mir jemand ein unsichtbares Kissen untergeschoben. Bevor ich nachsehen konnte, packte mich etwas Schlankes, Weißes, sehr präzise Gesteuertes am Kragen. Ich wurde mit absoluter Leichtigkeit hochgehoben, bis meine Füße einige Zentimeter über dem Boden baumelten. Ruckartig zerrte mich dieses Etwas nach vorn. Dann erblickte ich zwei Augen direkt vor mir. Dunkel wie poliertes Ebenholz, doch im Hintergrund von einem satten Blau gefüllt, eingefasst in ein ebenmäßiges, hellhäutiges Gesicht von einzigartiger, unnahbarer Schönheit. Und kalt. Eiskalt. Mich schauerte.
Hast du meine Warnung nicht verstanden, Mensch? Ihre Worte klangen wie eine emotionslos hingeworfene Frage ohne jede Erwartung auf eine Antwort. Ihr Blick untermauerte diesen Eindruck, er wirkte gelangweilt und zugleich erzürnt.
»Lass sie los, Lilith.«
Sehr langsam drehte sie sich zu Darian um und hielt mich dabei wie eine Puppe am Kragen gepackt in die Höhe. Das dezente Kräuseln ihrer Nase war die einzige sichtbare Regung ihres markant schönen Gesichts. »Du willst mir befehlen, Dahad Al'Draim?«
Er hatte sich vom Boden erhoben und lächelte sie an. Dann beugte er ein Knie, senkte ganz leicht den Kopf und blickte ihr dabei weiterhin fest ins Gesicht. »Ich bitte dich, Lilith. Lass sie los.«
Beinahe vorsichtig ließ sie mich herunter und erst los, nachdem ich festen Stand erreicht hatte. Ihre filigrane Hand zog sich gemächlich zurück. Sie hielt ihren Blick weiterhin auf Darian gerichtet, nickte schließlich und beschrieb eine elegante Geste. »Steh auf, Dahad. Das ist deiner nicht würdig.«
Verstohlen betrachtete ich die Frau neben mir. Ich war nicht gerade klein, reichte ihr jedoch eben mal bis unter das Kinn. Als ich sie im Elysium vor einigen Wochen zum ersten Mal gesehen hatte, war mir das nicht aufgefallen. Ihre Gestalt war gertenschlank und feingliederig, und doch enorm kraftvoll, wenn ich mir vor Augen führte, mit welcher Leichtigkeit sie mich hochgehoben hatte. Das blauschwarz schimmernde Haar umgab ihr Porzellangesicht wie ein seidiger Wasserfall und fiel weit über ihren Rücken hinab. Die weiße Strähne leuchtete daraus hervor.
Sogleich kam Darian ihren Worten nach, nahm ihre dargebotene Hand und hauchte einen Kuss darauf. Ich sah seine Augen schalkhaft aufblitzen, dann zwinkerte er mir zu. Entwarnung?
»Die Antwort auf deine Frage lautet Nein, Dahad. Und du, Menschenkind, sei gewarnt. Du spielst mit Mächten, die selbst für Gelehrte schwer zu kontrollieren sind. Halte dich an die Regeln, sonst wird es dich verschlingen.« Sie drehte uns den Rücken zu, und bevor ich eine Frage stellen konnte, schnippte sie mit den Fingern. »Geht jetzt. Meine Geduld hat ihre Grenzen.«
Im gleichen Augenblick wirbelte es mich herum. Ich verlor kurz die Orientierung, dann kam der Boden näher. Ein unsanfter Aufprall, ein leises Stöhnen, das nicht von mir stammte, und sogleich mehrere Hände, die mir
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