Blut Schatten
bist? Demnach also ebenso die Erstgeborene? Oder hat Julie ebenfalls besondere Fähigkeiten besessen?«
Nachdenklich schüttelte ich den Kopf. »Nein, sofern du die Fähigkeit ausklammerst, sich permanent durch Männergeschichten in Schwierigkeiten zu bringen.«
»So schlimm?«
»Schlimmer. Du weißt, die letzte Geschichte kostete sie das Leben.« Ich lächelte tapfer. Wir nahmen uns bei den Händen und hielten einander sanft fest, schwiegen miteinander und dachten jeder auf unsere Weise an Julie.
Plötzlich drückte Alistair ein wenig fester zu und sprang auf. »Komm mit, ich möchte dir etwas zeigen.«
»Jetzt noch? Wie spät ist es überhaupt?«
»Klar. Warum nicht? Zeit ist relativ. Oder hast du noch etwas anderes vor, Schwesterherz? Na los, komm schon.« Er zog mich hoch und aus der Küche. Richtig neugierig jedoch wurde ich, als wir die Treppe hinaufeilten und Alistair kurz darauf im oberen Stockwerk den Raum mit den Spirits ansteuerte. Er drückte mich mit sanfter Gewalt mitten auf dem Teppich nieder, begann die Kerzen in einem Kreis aufzustellen und zündete sie danach an. Anschließend steckte er ein Bündel Salbei an und ließ den Rauch um uns herum aufsteigen. Danach setzte er sich im Schneidersitz mir gegenüber und reichte mir die Hände. »Begleite mich auf dieser Reise, Faye. Vertrau mir.«
»Hast du so eine Reise an dem Tag unternommen, an dem wir mit Letavian diese unschöne Begegnung hatten?«
Mein Bruder sah mich leicht zerknirscht an. »Ja. Entschuldige bitte, dass ich deine Energie nicht gleich erkannt und dich etwas unsanft hinausgeworfen habe.«
»Du hast mich gesehen?«
»Nein, mehr deine Anwesenheit gefühlt. Du warst für mich in erster Linie ein Eindringling. Ich -«
»Das ist ja wunderbar!«, unterbrach ich ihn, sprang auf und umarmte ihn überschwänglich. »Ist dir klar, was du da sagst? Es ist eine Möglichkeit, Darian zu finden, ihn zu sehen. Und ich dachte immer, ohne Federn geht das nicht.«
»Federn?«, hakte er verwundert nach und schob mich sanft von sich. »Was für Federn?«
Eilig setzte ich mich im Schneidersitz wieder hin. »Unwichtig. Lass uns anfangen. Was muss ich tun?«
W ie auf sanften Wolken fühlte ich mich emporgehoben, so als würde ich schweben. Dennoch fühlte ich Alistairs festen Händedruck sowie den Boden unter mir. Es war ähnlich und doch ganz anders, als ich es kannte. Der Geist schien sich vom Körper vollständig zu lösen. Langsam, behutsam, weniger ruckartig. Ohne Wirbel, eher wie ein gewollter Ausstieg. Oder sollte es ich besser als Aufstieg bezeichnen?
Verwundert blickte ich hinab, sah mich dort unten mit geschlossenen Augen sitzen und Alistairs Hände halten.
Erstaunt?, vernahm ich Alistairs Stimme in meinen Gedanken. Beim ersten Mal hat es mich ziemlich nervös gemacht.
Es ist okay, gab ich zurück, sah mich weiter um und hätte fast gelacht, als ich bemerkte, dass wir haarscharf unter der Raumdecke klebten. Instinktiv zog ich den Kopf ein.
Ich hörte meinen Bruder lachen, suchte nach ihm, konnte ihn aber nirgends entdecken. Lediglich seinen Händedruck spürte ich weiterhin.
Alistair?
Wieder ein Glucksen, dann ein leichter Ruck an meinen Händen. Ich hielt erschrocken die Luft an, als ich durch die Decke flog und ihre verschiedenen Schichten sehen konnte: die Holzplatten, die Dämmschicht, einen dicken Dachbalken, eine dünne Schicht Dachpappe, viel Teer. Dann fühlte ich einen weiteren Ruck und stand plötzlich auf dem Dach, das lachende Gesicht meines Bruders vor mir.
Er sah plötzlich irgendwie anders aus. Sein rot-schwarz kariertes Holzfällerhemd war einer hellbraunen, ärmellosen Lederweste gewichen. Dazu trug er eine hellbraune Lederhose mit Fransen an den Seiten, die vorne geschnürt wurde und seine Jeans ersetzte. Helle Mokassins befanden sich an seinen Füßen. Sein Haar war offen, die seitlichen Zöpfe waren geblieben. Als er mir sein Profil zuwandte, erkannte ich an seinem Hinterkopf eine große Silberspange mit einer langen Adlerfeder.
Überrascht öffnete ich den Mund zum Sprechen, doch mein Bruder schüttelte sofort den Kopf. Nutze deine Gedanken, Faye. Du kannst niemals genau wissen, wer lauscht.
Das konnte ich nachvollziehen, denn auch während einer Reise mit den Federn vermied ich jeden Laut. Okay. Gibt es Schutzmaßnahmen zu beachten?
Nein, der Rauch der Kräuter schützt uns vor zu neugierigen Blik-ken. Bleib nur bei mir, dann geschieht dir nichts.
Das musste er mir nicht zusätzlich sagen. Um nichts in
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