Blut Schatten
mich gut festhalten – so einfach war das.
Wo geht's überhaupt hin?, fragte ich nach und staunte nicht schlecht, als ich die Häuser und Straßen weit unter uns nur noch als ein verwischtes, graues Etwas ausmachte. Der Vogel kam doch nicht etwa bis auf Mach 1,00?
Wart ab, wir sind gleich da.
Ich schnaufte resigniert. Was blieb mir auch anderes übrig?
Schnelligkeit ist keine Hexerei? Weit gefehlt. Ich hatte den letzten Gedanken noch nicht ganz zu Ende gedacht, da befanden wir uns bereits im Landeanflug. Sekunden später hob Alistair mich vom Adler herunter, und wir fielen buchstäblich durch den Boden hinab in einen beleuchteten, langen Gang, der mir vage bekannt vorkam. Spätestens als wir, ohne uns tatsächlich zu bewegen, auf eine Tür zuglitten, an der ein Name prangte, wusste ich, wo wir waren. Mein Bruder wollte sich schier ausschütten vor Lachen, weil ich meiner guten Erziehung entsprechend anklopfen wollte und meine Hand dabei einfach durch das Material glitt, als sei es nicht vorhanden. Ich schenkte ihm einen grimmigen Blick. Dann erhielt ich einen sanften Schubs und stolperte durch die optische Barriere in den Raum hinein.
Ein braunhaariger Lockenkopf ruhte seitlich auf verschränkten Armen. Rechts davon lag die dunkelblaue Brille auf einem Stoß Unterlagen. Eine weiße Tasse mit kaltem Tee stand daneben. Der ruhige Klang ihres Atems verriet, dass sie schlief.
Ich habe ihr gesagt, dass sie zu viel arbeitet, hörte ich gedämpftes Murmeln neben mir. Dann sah ich Alistair mit betrübter Miene hinter ihr stehen und liebevoll über ihre Haare streichen. Doppelschichten sind auf Dauer nicht gut. Egal, ob man das Geld nun braucht oder nicht.
Ich warf ihm einen erstaunten Blick zu. Du bist verliebt, Bruderherz.
Was? Nein! Blödsinn. Wie kommst du darauf? Ich mag sie, das ist alles. Da wird mir doch noch erlaubt sein, mir ein paar Gedanken um sie zu machen. Sein empörter Gesichtsausdruck konnte mich nicht täuschen. Dennoch nickte ich. Sicher doch, Alistair.
Bevor er sich weiter aus seinen offensichtlichen Gefühlen herausreden konnte, begann etwas sehr laut und unangenehm zu piepen. Sofort schreckte Maja hoch, tastete um sich und fegte die Tasse nebst Papierstapel vom Tisch.
»Oh Gott. Mist!«, fluchte sie leise, griff hektisch in ihre Kitteltasche und zog einen Pager hervor. Sie las die Nummer, hob den Telefonhörer ab und wählte. »Dr. Brooks, was gibt es? ... Okay, ich bin gleich unten.« Sie legte den Hörer hektisch auf und sah auf das Dilemma am Boden. »Verdammt! Ich hätte nicht einschlafen dürfen. So ein Mist aber auch.« Hektisch begann sie, die tropfenden Papiere auf den Tisch zurückzulegen, besann sich dann anders und winkte ab.
Fast hätte ich gelacht, als sie zur Tür stürzte und dabei geradewegs durch meinen Bruder hindurchlief, der sich anschließend einmal kräftig schüttelte. Ich hasse das. Dann ergriff er meine Hand und zog mich hinaus auf den Gang. Komm, lass uns nachsehen, was dein Mann treibt. Vorher noch was: Ich werde dir keine weiteren Fragen bezüglich Maja und mir beantworten. Also versuch es erst gar nicht.
Is' ja gut. Die Aussicht, wieder auf dem Vogel zu fliegen, verlangte ohnehin meine ganze Aufmerksamkeit.
Die Adler-Airline schien genau zu wissen, wohin wir wollten. Kaum dass wir zwischen den Schwingen des Adlers saßen, hob er ab und wandte sich nach Nordwest. Diesmal jedoch hielt ich mich nicht so krampfhaft an dem Gefieder fest, dessen einzelne Federn beinahe so groß wie mein Arm lang waren, sondern genoss den Flug und schaute mehrfach hinunter. Zumindest ein wenig. Wir jagten über den Central Park. Undeutlich konnte ich das Onassis Reservoir erkennen, bevor der See wieder in der Dunkelheit verschwand. Dann tauchte schon das hintere Ende des Parks auf, der zu Harlem gehörte. Jäh bog der Adler schräg nach rechts ab, fegte über schwach beleuchtete Straßen und Häuser hinweg und jagte über den Seitenarm des Hudsons mit seinen diversen Brücken. Wieder Häuser und Straßen, die Beleuchtung wurde schwächer, je weiter wir nach Westen gelangten. Das Tier wurde langsamer. Plötzlich zogen wir über einer wenig einladend wirkenden Umgebung große Kreise, als suchten wir etwas. Vorsichtig beugte ich mich leicht vor, starrte in die Tiefe, konnte jedoch so gut wie nichts erkennen.
Du hast kaum die Augen eines Adlers, Faye, lachte es hinter mir. Vertrau ihm.
Da ging es im Gleitflug plötzlich abwärts. Wie ein Pfeil schossen wir wenige Meter über dem Boden
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