Blut Schatten
der Welt hätte ich seine Hand losgelassen, vermittelte er mir auf diesem völlig unbekannten Terrain doch Sicherheit und Vertrauen.
Bevor wir Darian suchen, möchte ich gerne einen kleinen Abstecher machen. Ist das für dich in Ordnung?
Ich zuckte zustimmend mit den Schultern. Sicher. Aber halt mich gut fest, sonst verlierst du mich noch.
Das wird nicht geschehen. Alistair zwinkerte mir zu, legte beide Hände an den Mund und rief ein Wort, das ich weder verstehen noch einordnen konnte. Doch die Wirkung war eindeutig. Erst vernahm ich ein immer lauter werdendes Rauschen, dann gewahrte ich einen Schatten über uns, der in kreisenden Bewegungen schnell näher kam. Als die Schreie eines Adlers an meine Ohren drangen, sah ich Alistair besorgt an. Er aber lächelte nur.
Ein riesiger Weißkopfseeadler landete kurz darauf vor uns auf dem Dach. Er schüttelte seine Flügel, ließ abermals einen Schrei erklingen und wandte seine ganze Aufmerksamkeit uns zu. Der feste Blick seiner gelben Augen erfasste mich. Instinktiv machte ich einen Schritt zurück.
Keine Sorge, Faye. Er ist mein Spirit, einer meiner Geistführer, auch Krafttier genannt. Er wird uns zu den Orten bringen, die wir sehen möchten.
Ich musterte den Adler leicht skeptisch. Immerhin hatte er die Größe eines Kleinwagens, und die Länge seines Schnabels sowie seiner Krallen war alles andere als beruhigend. So musste sich eine Maus im Angesicht eines solches Raubvogels fühlen – als Beute.
Steig auf.
Nein, nein, geh du mal voran, Alistair, winkte ich eilig ab.
Schiss, Schwester?
Schwindeln? Nein, ich entschied mich für die Wahrheit. Ja. Er kennt mich ebenso wenig, wie ich ihn kenne. Mir wäre Laufen gerade irgendwie lieber.
Glaub mir, er kennt dich. Aber wie du wünschst. Alistair gab dem Adler einen Wink, worauf dieser seine Flügel ausbreitete und sich wieder in die Lüfte erhob. Er flog weit hinauf, kreischte einmal und sauste dann im Sturzflug hinab. Erschrocken wich ich bis an den Rand des Daches zurück und zog Alistair einfach mit mir. Kreischend schoss der Adler an uns vorbei, ich fühlte, wie eine Feder mich knapp streifte. Dann erhob sich das Tier abermals in die Lüfte, um wieder auf uns herabzustürzen.
Habe ich ihn irgendwie verärgert?, rief ich meinem Bruder gedanklich zu und blickte mich gleichzeitig nach einem Schlupfloch um.
Nein, alles ist in bester Ordnung, Faye, gab er ruhig zurück.
Du ... Es ist bitte was? Überaus besorgt behielt ich den Adler im Auge, der mit ausgebreiteten Schwingen direkt auf uns zukam. Alles in Ordnung sah für mich aber anders aus. Kurz vor dem Dach bog er plötzlich ab und verschwand aus meinem Blickfeld, um seitlich unter uns gleich wieder aufzutauchen.
Als ich einen harten Stoß erhielt und über das Dach stürzte, schrie ich panisch auf. Dann landete ich auch schon mit dem Gesicht voran zwischen den Schwingen des Adlers. Schockiert klammerte ich mich fest. Bevor ich genauer überlegen konnte, ob das Tier Milben hatte und somit bei mir eine allergische Reaktion auslösen würde, oder wie ich mich bei meinem Bruder für seine Heimtücke rächen sollte, landete Alistair bereits hinter mir. Sein rechter Arm umfasste meine Taille und zog mich hoch, presste mich mit dem Rücken fest an seine Brust. Jeder Flügelschlag des Tieres warf mich ruckartig zurück, und ich erwartete, jeden Moment abzustürzen.
Entspann dich und genieße es, Faye. Ich sagte dir, dass dir bei mir nichts geschehen wird.
Die Komponente Adler-Air hast du dabei unterschlagen, maulte ich mit schrägem Seitenblick auf besagtes Flugobjekt.
Dann musste ich mich regelrecht festklammern, da der Adler rasend schnell an Höhe gewann, was mein Bruder mit einem lauten Jubelschrei begleitete. Na, zumindest er genoss den Flug. Ich fühlte mich dem Tode näher als dem Leben. Was würde geschehen, wenn ich abstürzte?
Dann wird auch dein physischer Körper leiden, denn alles, was dir auf dieser Ebene geschieht, spiegelt sich auf der materiellen Ebene wider, erklärte Alistair ruhig.
Es war genau so wie bei meinen Reisen mit den Federn. Wurde ich dabei verletzt, trug ich diese Verletzungen mit in die bewusste Realität. Ungern erinnerte ich mich an den Schnitt an meinem Hals, den ich auf meiner ersten, allerdings ungewollten Reise erlitten hatte. Sehr lange hatte ich vergeblich versucht, ihn als ein Hirngespinst abzutun. Aber Hirngespinste schmerzen oder bluten normalerweise eben nicht. Ich knirschte lautlos mit den Zähnen. Also musste ich
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