Blut Schatten
unternehmen. Sofort. Ich brauche eine Kirche, Alistair.
Was?
Eine Kirche, geheiligter Boden. Wo?
Ich bringe dich hin. Komm jetzt. Er wirkte hektisch, rief seinen Adler, und kurz darauf jagten wir abermals durch die Lüfte. Erst von hier oben aus bemerkte ich die graue Masse, die wie eine riesige Welle von Osten heranzog und alles zu verschlucken drohte. War sie der Grund für Alistairs überstürzten Aufbruch? Je mehr ich mich in sie hineinzufühlen versuchte, meine gedanklichen Tentakel nach ihr ausstreckte, desto stärker wurde der Druck auf meine Magengegend. Bis mir übel wurde und ich schließlich den Versuch aufgab. Was immer diese dichte, alles verschlingende Masse darstellte, sie war keineswegs wohlmeinend.
Einmal noch blickte ich zurück und sah unter mir die kleiner werdenden Gebäude der Stelle, wo wir Darians Spur verloren hatten. Die Spur, die ich wiederzufinden gedachte. Auf meine eigene Weise. Egal, ob graue Masse oder nicht.
- Kapitel Einundzwanzig -
L angsam kam ich wieder bei mir an. Ich fühlte festen Boden unter mir, zudem Hände, die meine umfassten. Die Beine hingegen spürte ich nicht mehr. Flatternd öffnete ich die Augen und erblickte Alistair mir gegenüber, der mich stumm beobachtete und mir schließlich zögernd zulächelte.
Bevor ich etwas sagen konnte, erhob er sich, zupfte sein Hemd zurecht und trat aus dem Kreis der inzwischen heruntergebrannten Kerzen heraus. Stumm fragend beobachtete ich seine Reaktion.
»Geheiligter Boden, Faye. Du sitzt darauf, erklärte er ruhig und wies dabei auf den Teppich. »Vielleicht nicht gerade das, woran du gedacht hast, aber er ist definitiv geweiht. Dem großen Geist, der Mutter Erde und den Ahnen, die uns begleiten.«
Zunächst starrte ich Alistair perplex an, dann hätte ich beinahe laut gelacht. Da lebte ich seit etlichen Tagen direkt in einer himmlischen Telefonzentrale und bemerkte es nicht. Kopfschüttelnd befühlte ich den Boden. Er vibrierte leicht, wie unter einer geringen Stromspannung.
Ich schloss abermals die Augen und begann mich zu konzentrieren. Hoffentlich funktionierte die Verbindung. Gedanklich schickte ich eine sehr höflich formulierte Anfrage in Form eines Gebets an einen gewissen Herrn Erzengel ab. Einen Wimpernschlag später wurde es im Raum gleißend hell, sehr warm, und das Gefühl unendlicher Liebe durchflutete jede Zelle meines Körpers.
»Du hast mich gerufen. Hier bin ich, Kind«, dröhnte es nahezu in meinen Ohren. »Was ist dein Begehr?«
»Michael.« Erleichtert riss ich die Augen auf, kniff sie jedoch wegen der Helligkeit gleich wieder zusammen. »Könntest du eventuell einen Dimmer benutzen oder mir eine Sonnenbrille reichen?«
»Ganz die Alte«, vernahm ich seine nun weniger offiziell klingende Bemerkung, dann wurde die Helligkeit so weit erträglich, dass ich die Augen wieder öffnen konnte.
»Danke.« Ich sah in dem gleißenden Schein etwas Ähnliches wie ein angedeutetes Nicken.
»Du hast mich sicher nicht herbeigerufen, um mit mir über die Funktionstüchtigkeit deiner Augen zu sprechen, Faye McNamara.«
»Hilf mir, Darian zu finden, Michael. Bitte«, eröffnete ich sogleich. »Ich befürchte, es ist etwas Schlimmes geschehen.«
»Ich möchte vermuten, deine Deutung von etwas Schlimmes unterscheidet sich sehr stark von meiner. Lass mich bitte an deiner teilhaben, damit ich dir die entsprechende Antwort geben kann.«
Ich blinzelte in die Helligkeit hinein. »Bitte?«
Michael seufzte vernehmlich. »Stell deine Fragen bitte präzise, Kind.«
Für einen Augenblick dachte ich ernsthaft darüber nach, an wessen Verstand ich zu zweifeln hatte. Sein dezentes Räuspern machte klar, dass er meine Gedanken durchaus vernommen hatte, so dass ich mich für meinen eigenen Verstand entschied. Es wäre vermutlich nicht sinnvoll, einen Erzengel zu verärgern. Sein folgendes breites Lächeln nebst angedeutetem Nicken zeigte mir, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. So rang ich mir eine Unschuldsmiene ab, blickte den Lichtstrahl bemüht freundlich an und meinte schließlich sehr besonnen: »Wären Begriffe wie physischer Tod, Verletzung, Verstümmelung, Schmerzen oder gar Aschehaufen in Bezug auf Darian das, was auch du als etwas Schlimmes definieren würdest?«
»Wenn deine Emotionalität dabei auf einer neutralen Ebene verbleibt und weniger – wie nennt ihr Menschen diesen Wesenszug? – Ironie deine Frage leitet, können wir durchaus einen Konsens erlangen.«
Mein Zähneknirschen musste ohrenbetäubende
Weitere Kostenlose Bücher