Blut Schatten
um meine Schulter, nahm ihn jedoch schnell wieder fort. Ich spürte regelrecht, wie er mich ansah. Langsam drehte ich meinen Kopf in seine Richtung, nickte ihm verstehend zu und wusste, dass er die leichte Bewegung wahrgenommen hatte. Als Antwort fühlte ich einen sanften Druck an meinem Oberschenkel, als drückte er unbemerkt seine Hand dagegen.
Das Schweigen im Wagen lastete schwer, erlaubte es mir aber, den Fahrgeräuschen zu lauschen. Gedämpft vernahm ich das Rattern und Klopfen der Dehnungsfugen einer Brücke unter den Rädern, vermischt mit dem einsamen Klang eines Schiffsnebelhorns. Der Wagen fuhr schnell, jedoch nicht so schnell, um einer Streife aufzufallen. Nach der Brücke ging es eine Weile geradeaus, dann verringerte sich das Tempo drastisch, der Fahrer bog nach rechts ab und schien durch diverse Seitenstraßen zu fahren. Dabei machte er mehrmals einige Schlenker, so als würde er Hindernissen ausweichen. Tonnen? Unrat? Oder Menschen?
Ich kannte mich nicht aus, hatte keinerlei Ahnung, wo ich sein konnte. Möglicherweise irgendwo in Manhattan, vielleicht Chinatown oder Little Italy. Durch den Sack drangen keinerlei Gerüche, auch wenn der skrupelbehaftete Wachmann das Fenster ein wenig heruntergelassen hatte. Das grobe Material war einfach nur muffig. Dafür hörte ich mehr. Lautes Hupen, einige Rufe, das Kläffen eines Hundes.
»Mach es zu«, brummte es von links, und kurz darauf war das Akustikkino beendet.
Eine geraume Weile noch ging es kreuz und quer durch die Gegend, dann wurde es allgemein ruhiger, und wir blieben stehen. Sogleich wurden die Türen geöffnet, und die Herrschaften sprangen hinaus. Selbstredend war es Mr. Rüpel, der mich wieder am Arm packte und rücksichtslos hinter sich herzog. Zu gerne hätte ich dem Kerl zum Dank in die Hand gebissen.
Der Boden war uneben, als habe der Asphalt jede Menge Schlaglöcher. Ich hörte und fühlte zudem Splitt bei jedem Schritt unter den Sohlen. Zweimal knickte ich um, wurde aber gnadenlos weiter angetrieben. Dann riss er mich am Arm zurück und zwang mich zum Stehenbleiben. Ich wurde einem anderen Mann übergeben, während der Rüpel sich entfernte und ich kurz darauf das metallische Quietschen eines großen Hallentors vernahm.
»Bring sie rein, er erwartet uns«, machte der Rüpel sich bemerkbar, und ich wurde mit einem sanften Schubs vorangebeten.
»Vorsicht, direkt vor Ihnen ist eine Schwelle«, flüsterte es neben mir, wobei mir gleichzeitig mit einem geleitenden Griff am Ellenbogen über das Hindernis geholfen wurde. Anscheinend führte mich der Gewissensgebissene hinein. So also klang er, wenn er sprach.
»Nun mach schon. Ich will nicht ewig warten!«, drängelte er, und ich wurde weiterhin sanft, aber mit mehr Nachdruck durch eine dem Klang nach leere Halle geführt. Unsere Schritte echoten von den hohen Wänden.
Nach einigen Metern wurde ich abermals gestoppt. Jemand zog mich etwas nach links, dann wurde ich auf einen Stuhl niedergedrückt.
»Ihr könnt ihr den Sack abnehmen«, erklang jetzt eine Stimme, die sich bislang nicht zu Wort gemeldet hatte. Mein eigentlicher Entführer? Und – verflixt – diese Stimme kam mir entfernt bekannt vor.
Ruckartig wurde der Sack von meinem Kopf gerissen, dem Gefühl nach mitsamt einem Büschel meines Haares. Ich konnte nur durch das Klebeband gedämpft fluchen. Ich wollte mich umsehen, blinzelte allerdings nur gegen den direkt in mein Gesicht gehaltenen grellen Lichtstrahl einer Lampe an. Eine fleischige, stark behaarte Hand von der Größe eines Klodeckels erschien in meinem Blickfeld. Die kräftigen Finger langten nach dem Klebeband und rissen es schroff von meinen Lippen. Vermutlich blieb die Hälfte meiner Haut mit daran hängen.
»Verfluchter Ochse!«, brauste ich auf, trat nach vorn und fühlte meinen Fuß auf ein Weichteil treffen, dessen Träger sofort aufjaulte. Dem Klang des Jaulens nach Mr. Rüpel. Entsprechend motiviert trat ich nochmals zu und erwischte eine Kniescheibe, die mit einem leisen Knirschen unter dem Druck meines Tritts nachgab. Das Jaulen wurde intensivier und paarte sich mit einem schmerzverzerrten »Dreckshure«.
»Fass sie an, und dein Knie war nur der Anfang!«
Diese Drohung war eindeutig. Während der demolierte Rüpel fluchend von mir forthumpelte, versuchte ich überrascht, den Sprecher auszumachen. Langsam trat er in den Schein der Lampe. Zuerst ein schwarzer Schuh, gefolgt von einem dünnen, dunklen Gegenstand. Verwundert wanderte mein Blick daran empor,
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