Blut Schatten
ihm geschehen war. »Was hast du mit mir vor, Letavian? Ich bin für dich so unnütz wie der Wurfstern dort in der Wand für mich. Willst du mich bei meinem Bruder gegen das Buch eintauschen, um auf diese Weise deinen Rang zurückzuerhalten? Als Krönung zu Darians Auslieferung?«
»Ich habe durchaus mit diesem Gedanken gespielt. Aber jetzt ...« Er ließ den Satz unvollendet ausklingen, drehte mir den Rük-ken zu und ging einige Schritte weiter in die Halle hinein, wobei er den Lichtkegel der Lampe verließ. Mir schwante nichts Gutes. Was hatte er vor? Konnte es noch dicker kommen?
Kurz darauf erlosch das Licht, es war stockdunkel. Zumindest für einen Moment, dann zeichneten sich vor meinen Augen die bekannten, bläulich schimmernden Umrisse ab. Letavians Konturen leuchteten besonders intensiv. Der Tisch neben ihm, auf dem die erloschene Stablampe lag, verblasste dagegen. Ob ihm das bewusst war? Oder hatte er keine Ahnung, dass ich wie eine Katze im Dunkeln sehen konnte, und gab sich daher erst gar keine Mühe, sich zu verbergen? Es bestand noch eine dritte Möglichkeit: Er beherrschte die Kunst des Verhüllens nur unzureichend, denn es war nicht allen Vampiren gegeben, sich lautlos und wie ein Schatten unbemerkt zu bewegen.
Daher überraschte es mich nicht wirklich, als er mit erhobener Hand jäh vor mir stand. Geschwind rutschte ich seitlich vom Stuhl. Sein Schlag ging ins Leere, erwischte jedoch die Lehne und schleuderte das hölzerne Sitzmöbel einige Meter durch den Raum. Eilends rollte ich von ihm fort, verhakte meinen Fuß mit seinem und nutzte meine Chance. Indem ich meine Beine wie eine Zange einsetzte, hebelte ich ihn von den Füßen.
Für einen Moment hatte ich nicht bedacht, wie schnell er war. Bevor ich mit einer Wimper zucken konnte, fühlte ich seinen Körper mit voller Wucht seitlich auf mir landen, konnte zum Schutz meines Unterleibs gerade noch die Beine anwinkeln. Da griff eine Hand nach meiner Kehle, die zweite in mein Haar und riss meinen Kopf nach hinten.
»Hast du tatsächlich geglaubt, mir entkommen zu können?« Seine zornige Stimme sandte mir einen unheilschwangeren Schauer durch Mark und Bein. Ich wimmerte leise, als sein Griff brutaler wurde und mir den Atem raubte. Pure Panik durchflutete mich und mobilisierte meinen Überlebensinstinkt. Meine Gedanken galten nur noch der reinen Selbsterhaltung – meiner eigenen und der meines ungeborenen Kindes. Mit aller Kraft stemmte ich mich gegen ihn, versuchte zu schreien und ihn von mir zu werfen. Es nützte nichts, er war zu schwer, sein Griff zu unnachgiebig. Ich bekam keine Luft mehr, meine Kräfte erlahmten. Das Blut rauschte in meinen Ohren, mein Kopf drohte zu platzen. Tränen der Ver-zweifelung und Hoffnungslosigkeit schossen mir in die Augen. Ich hatte verloren, konnte ihm nichts weiter entgegensetzen, gab die Gegenwehr schließlich ganz auf. Unaufhaltsam fühlte ich meine Sinne schwinden, sah für eine kurze Sequenz Darians sanftes Gesicht vor mir erscheinen, ehe es vollständig in Dunkelheit versank.
»Verdammt!«, vernahm ich nur am Rande und durch Rauschen gedämpft.
Abrupt war ich frei. Sogleich schoss die kostbare Luft, fiesen Nadelstichen gleich, durch meine Luftröhre. Wie eine Ertrinkende sog ich den Atem in meine Lungenflügel, rollte auf die Seite und begann zu husten. Jeder Atemzug quälte, mein Hals brannte, als habe ich Flammen geschluckt. Tränen verschleierten meine Sicht. Ich spürte Letavians Nähe mehr, als ich ihn sah.
»Warum?«, fragte ich schließlich krächzend. Ein Hustenanfall folgte. Der Staub des Hallenbodens kitzelte zusätzlich in Hals und Nase. Ich musste niesen. Es kitzelte weiter, quälte mich zusätzlich. Alles tat weh. Ich wollte mich an der Nase reiben, den Niesreiz vertreiben. Die Fessel verhinderte es.
»Ich kann nicht«, kam es geflüstert.
Verwundert sah ich auf und hustete abermals. Im Schneidersitz saß er neben mir, die Hände gefaltet, den Kopf gesenkt, das Gesicht hinter einem Schleier langer, dunkler Haare verborgen. Langsam hob er den Kopf und blickte mich anklagend an. »Ich kann dich nicht töten, Frau.« Seine Hände schoben sich in mein Blickfeld. Sie zitterten. »Selbst wenn ich wollte, ich kann es nicht.«
Irritiert eilte mein Blick zwischen seinen Händen und seinem Gesicht hin und her. Ich begriff sein Zögern nicht. Achtsam stemmte ich mich hoch, bis ich halbwegs saß, und beobachtete ihn weiter. Ich fühlte, wie er seine mentalen Kräfte an mir erprobte, in mir zu lesen
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