Blut Schatten
mich wartete.
»Du hast mit Duncan über deine Mutter gesprochen?«, deutete sie meine Miene, und ich nickte. Sofort landete ich in ihrer mütterlich warmen Umarmung. »Ach Kind, nimm es ihr nicht übel. Sie hat einfach nur Angst, geheiligten Boden zu verlassen. Ich bin sicher, sie denkt an dich und möchte im Grunde ihres Herzens, dass es dir gut geht und du glücklich wirst. Das wollen wir alle.«
»Weinst du deswegen etwa?«, fragte ich erstaunt.
Sie lachte. »Ach je, ich werde auf meine alten Tage ganz sentimental.« Dann nahm sie ein schmales, silbernes Armband vom Tisch und legte es mir um das Handgelenk. »Das ist meine Leihgabe für dich. Ich hoffe doch, es bringt Glück.«
»Das wird es bestimmt.« Nun ließ es sich nicht mehr aufhalten. Das Tuch der Küchenrolle fing die bislang mühsam zurückgehaltenen Tropfen auf, bevor sie Schaden anrichten konnten.
- Kapitel Fünfunddreißig -
L angsam steuerte der Chauffeur die schwarze Strechlimousine, die Darian mir geschickt hatte, auf den freien Platz vor dem Belvedere Castle zu und blieb schließlich stehen. Während der langen Fahrt war ich immer nervöser geworden, und nur Dads permanentes Streicheln meiner Hand hatte mich davor bewahrt, kopflos aus dem Wagen zu springen. Ich schluckte trocken. Die ganze Zeit über hatte ich der Hochzeit entgegengefiebert, mich darauf gefreut, Darians Frau zu werden. Nun war der Zeitpunkt gekommen, und ich bekam Nervenflattern. War das nicht irgendwie blödsinnig?
Zu meiner großen Überraschung hatte mein Vater den traditionellen Kilt unserer Familie angelegt und sah unendlich stattlich aus. Er war in der Grundfarbe Dunkelgrün gehalten und wurde von blauen, roten und gelben Fäden durchzogen, die in einem aus Quadraten bestehenden Muster zusammenliefen. Dazu trug Dad ein beigefarbenes Leinenhemd und eine dunkelgrüne Samtjacke.
Innerlich die Unruhe selbst, zog ich den Schal enger um mich und drehte den kleinen Blumenstrauß aus dunkelroten, fast schwarz wirkenden Rosen in meinen Händen. Ein Geschenk von Kimberly, die zusammen mit Steven und Ernestine wenige Minuten vor uns losgefahren war.
Mein Vater sprang aus dem Wagen, umrundete ihn und öffnete mir noch vor dem Chauffeur fürsorglich die Tür. Spätestens jetzt war die Entscheidung gefallen. Doch ich hatte ohnehin nie wirklich gezweifelt, es waren lediglich die Nerven. Bevor sie noch verrückter spielen konnten, ergriff ich Dads dargebotene Hand und stieg ich aus.
Es war ein wunderschöner, für Ende Oktober recht lauer Abend. Die Sonne war bereits untergegangen und ihre letzten wärmenden Strahlen tauchten alles in rötliches, unwirkliches Licht. Einen Moment lang sog ich ihre ersterbende Wärme in mich auf, dann straffte ich die Schultern und reckte den Kopf. Ich zauberte Gelassenheit auf meine Lippen und nickte meinem Vater schließlich zu. »Auf geht's, Dad. Sie warten sicher schon auf uns.«
»Auf dich, mein Schatz. Ich bin nur eine Randfigur.«
»Ohne die ich nicht da wäre«, ergänzte ich. Da entdeckte ich auf dem Boden vor mir eine Spur aus weißen und dunkelroten, fast schwarzen Blütenblättern. Sicherlich eine weitere Aufmerksamkeit von Kimberly. Schnurgerade führte diese Spur auf die massive, mittelalterlich wirkende kleine Burg zu, von der ich wusste, dass sie eine sehr schöne Nachbildung war. Das von Spots angestrahlte Schiefergrau des Gebäudes hob sich kontrastreich vom abendlichen Himmel ab. Der Turm mit der amerikanischen Flagge und die obere Terrasse mit dem Pavillon wurden neben den gusseisernen Lampen durch mehrere aufgestellte, flackernde Fak-keln erhellt. Die Burg war auf einem Felsen gebaut, von dem man hinüber zum Delacorte Theater sehen konnte, in dem die sommerlichen Monate über Shakespeare-Aufführungen stattfanden.
Mit stolzgeschwellter Brust führte Dad mich am Arm über das Blütenmeer die breite Steintreppe hinauf und unter dem großen Pavillon hindurch auf das Gebäude zu. Wir traten durch eine gläserne Rundbogentür, über der das Abbild eines Drachens wachte. Kerzenlicht erhellte den Raum, dessen Einrichtung hauptsächlich aus schmalen Regalen an den Wänden, auf denen eingerahmte Bilder standen, und einem Glastresen mit Touristeninformationen und Hinweistafeln bestand. Hohe, mit geschmiedeten Gittern verzierte Fenster ließen auf der einen Seite das Licht der untergehenden Sonne und auf der anderen das des aufsteigenden Mondes einfallen, so dass im Zusammenspiel mit dem Kerzenschein eine fast mystische Atmosphäre
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