Blut Schatten
den Scheitel. »Ja. Noch bevor ihr mit den Säbeln zu rasseln begonnen hattet.« Dann wandte er sich erneut an den Indianer: »Du hast dich vergewissert?«
»Ja. Ich wusste es vorher und bekam es bestätigt. Aber sie muss noch viel lernen, Schattenkrieger.«
Verblüfft starrte ich Darian an. Schattenkrieger? Er bedachte mich mit einem unschuldigen Lächeln.
Nein, ich fragte nicht, was das wieder bedeutete. Ich hatte genug von diesen rätselhaften Andeutungen. Mir schien, als bestünde mein komplettes Leben derzeit nur noch aus irgendwelchen Rätseln. Rätsel um mich, Rätsel um mein ungeborenes Kind, Rätsel um die Zukunft und die Vergangenheit, Rätsel auf allen Ebenen. Bald würde ich rätseln, was ich am nächsten Tag rätseln würde. Nein, so weit würde ich es nicht kommen lassen. Ich hatte einfach nur genug von diesen ... »Klärt mich bitte jemand auf?«
Dunkelbraune Augen erfassten mich. »Die große Mutter befindet sich im Wandel. Viel verändert sich. Sichtbar, teilweise nur spürbar. Verbindungen werden gewoben, die das Denken und Handeln vieler zu einem Einzigen verknüpfen. Zu einem Kollektiv. Mit dem Preis, dass die Individualität untergraben und zerstört wird, wenn man es nicht stoppt.« Ein winziges Lächeln huschte schattengleich über seine Züge. Oder lag es nur am flackernden Feuerschein? »Frauen haben in unserer Kultur seit jeher das Herdfeuer gehütet, denn Feuer bedeutet Licht und Wärme. Ohne dieses Feuer ist kein Leben möglich, es muss behütet werden. Wer würde dafür seinen Sohn schicken?«
Licht und Wärme. Abermals sah ich Darian an. Jeder normale Vampir mied genau das.
»Und ich soll diese Frau sein?«
»Ja und nein.«
Herzlichen Dank für die überaus hilfreiche Antwort. »Meine Tochter ist also involviert?«
»So ist es.«
Perfekt. Noch nicht einmal auf der Welt, aber schon die Abschlussprüfung der Senior High vor der Nase.
Die Umarmung meiner Schulter wurde ein wenig fester, und ich sah in graublaue Augen. Sie leuchteten mich zuversichtlich an. Egal was kommt, wir schaffen das, Faye.
Ich glaubte ihm, wenngleich mit mulmigem Gefühl in der Magengegend.
Plötzlich schnellten die Männer synchron in die Höhe. Einem Schatten gleich schoss Steven an uns vorbei, verschwand mit einem Sprung in die Tiefe. Darian und Alistair eilten ihm nach. Mir wurde kurzerhand ein schlafender Junge in die Arme gedrückt. Und noch während er sich umwandte, schien Thomas vor meinen Blicken zu flimmern. Ein Seufzen lenkte meine Aufmerksamkeit auf Val, und als ich wieder aufsah, war das Dach wie leergefegt. Für den Bruchteil einer Sekunde durchschnitt ein zorniges Fauchen die nächtlichen Geräusche, dann war es totenstill.
Herdfeuer. Wenn ich einen Buchstaben entfernte, wurde das Erdfeuer daraus. Erde bedeutete Leben, die Grundlage unserer Existenz. Man kam aus der Erde und wurde nach dem Tod wieder der Erde zurückgegeben. Der ewige Kreislauf. Wesen wie Vampire standen diesem Kreislauf im Weg. Sie stellten das pure Gegenteil dar. Und sie brachten den Tod. Es wunderte mich keineswegs, dass dieser Indianer meinem Mann gegenüber Zweifel gehegt hatte. Wieder blickte ich auf den kleinen Jungen in meinen Armen, strich ihm liebevoll eine seiner langen, nachtschwarzen Strähnen aus dem Gesicht und zog meine Felldecke auch um ihn herum.
Als ich kurz in Thomas' System eingetaucht war, hatte ich gesehen, dass seine beiden ersten Söhne bei einem Unfall ums Leben gekommen waren. Darum hütete er Val wie seinen Augapfel. Und nun hielt ich ihn in den Armen. Wenn die Übergabe seines einzigen, letzten Sohnes nicht ein absoluter Vertrauensbeweis war, wusste ich auch nicht weiter.
Vorsichtig erhob ich mich – bloß nicht den kleinen Mann wecken – und trat bis ans Ende des Daches. Direkt unter mir sah ich einen Teil der Feuerleiter, die jedoch nicht bis auf den Boden reichte, sondern in Höhe der mittleren Etage endete. Alistair hatte sie dort festgeschraubt und somit unbrauchbar gemacht. Auf der einen Seite verständlich, auf der anderen Seite aber auch fahrlässig, falls es mal brennen sollte. Wobei ein Vampir diese Höhe mit Leichtigkeit durch einen Sprung überwinden konnte. Oder wollte Alistair kein Eindringen, sondern ein Entkommen verhindern? Spontan fiel mir nur Kimberly ein; und Alistairs Aufstand, als er mitbekommen hatte, dass sie Steven einer etwas genaueren Befragung unterziehen wollte, an der Ernestine zuvor gescheitert war.
Dann entdeckte ich etwas, was mir zuvor nie aufgefallen
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