Blut Schatten
meine Muskulatur schier zerreißen. Mit letzter Kraft klammerte ich mich fest und gab meinen Gedanken eine neue Richtung: Nach Hause. Da kam ich auf.
Ein Stöhnen ließ mich die Augen aufreißen. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich sie überhaupt geschlossen hatte. So erblickte ich Darian mit schmerzverzerrter Miene unter mir. Seine Arme lagen eisernen Ringen gleich um mich, und wie ein Ertrinkender hielt er sich an mir fest.
»Oh Gott, Faye«, drang es dünn an meine Ohren. »Du hast mich fast zerrissen.«
»Es tut mir leid, Darian. Ich wusste ja nicht...« Mir versagte die Stimme. Ich küsste ihn, löste die Umarmung und legte die Federn beiseite, warf dabei eine der brennenden Kerzen um, die zischend verlosch. Dann kniete ich neben ihm, umfasste sein Gesicht und tastete es prüfend ab. Dabei übersäte ich es mit sanften, kleinen Küssen und murmelte: »Es tut mir so leid. Das wollte ich nicht.«
Er lächelte mich an, matt und irgendwie müde, und ich spürte deutlich, dass er mir Mut machen wollte. In seinen Augen stand ein Ausdruck, den ich nie zuvor gesehen hatte. Schmerz. Schmerz an Körper und Seele. Und irgendwie eine Form von Abschied. Was hatte ich getan?
Tränen schossen mir in die Augen, tropften auf ihn hinab. Lächelnd schüttelte er sehr langsam den Kopf, hob fahrig seine Hand und strich mir über die Wange. Ich sah, dass sie zitterte. Meine Angst explodierte.
Es war viel zu früh. Es hätte nicht geschehen dürfen.
Die bedeutungsschwangeren Worte ließen mich herumfahren. Direkt hinter mir, nahe der Tür, ragten deutlich sichtbar zwei strahlend helle Lichtsäulen auf, die sich lediglich in der leichten Schattierung unterschieden. Die eine Gestalt leuchtete leicht grünlich, die andere war von einem bläulichen Schimmer umgeben. Intuitiv wusste ich, wer der Bläuliche von beiden war. Michael.
»Was ist zu früh?«, brachte ich geschockt heraus.
Mir schien, als kommunizierten die beiden miteinander, als wechselten kaum sichtbare Strahlen vom einen zum anderen. Es geschah lautlos, und ich verstand nichts von dieser ungewöhnlichen Unterhaltung. Und als Darian zusätzlich unter meinen Händen zu zittern begann, wurde ich durch meine erstickende Angst recht ungehalten. »Was immer ihr zu bereden habt, verschiebt das auf später, weil es sonst nicht zu früh, sondern zu spät ist!«
Augenblicklich endete der Austausch, und ich fühlte mich mit einem Mal sehr unangenehm fixiert. Anscheinend hatte ich mich mit den himmlischen Autoritäten angelegt, und nun wurde mir ihre Macht demonstriert. Ein ungeheurer Druck breitete sich über mir aus, als wolle mich jemand oder etwas in die Knie zwingen.
»Es ist nicht ihre Schuld. Lasst sie gehen!«, zürnte Darian da mit ungeahnter Energie, und erstaunt sah ich ihn an. Seine Augen hatten einen unnatürlichen Glanz angenommen, ein Leuchten, das von innen heraus zu kommen schien. Und auch seine komplette Statur schien zu erstrahlen, es umgab ihn auf einmal ein Schimmer, den ich niemals zuvor an ihm gesehen hatte. Bedächtig schob er sich hoch, stützte sich mit den Ellenbogen auf und bedachte die Lichtgestalten mit einem Blick, der jeden Normalsterblichen in Eis verwandelt hätte. Dann wandte er sich mir zu, und sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Mit unendlicher Milde sah er mich an und reichte mir seine Hand. »Hilfst du mir bitte auf, Faye?«
Es ist zu früh!, donnerte es abermals durch meinen Kopf, und ich presste meine Hände auf die Ohren.
Nein, Raphael, das ist es nicht, antwortete da sehr bestimmend eine männliche Stimme, die ich nie zuvor vernommen hatte. Gleichzeitig fühlte ich, wie der Druck von mir wich, ich mich ungehindert aufrichten konnte und von etwas umhüllt wurde, was eindeutig nicht irdischer Natur war. Ein glitzerndes Licht, weich wie Seide, stärkend und doch so schwer wie uralter Portwein und dabei so klar wie Quellwasser. Obwohl ich kein weiteres Wort vernahm, wusste ich, was mir auf sehr feinfühlige Weise übermittelt wurde.
Ohne zu zögern und mit absolutem Vertrauen in dieses Wesen, rutschte ich von Darian ab und schaffte ihm so Platz. Erstaunt nahm ich das Flirren wahr, das diese strahlende, in goldenen Schimmer gehüllte Gestalt umgab und nun auch mich einhüllte. Wer war das?
Ich fühlte seine freundlich gesonnene Mimik mehr, als dass ich sie sehen konnte. Alsdann schrumpfte diese Lichtgestalt in sich zusammen, verdichtete sich, bis sie beinahe menschliche Züge annahm. Zu schön und zu sanft, um wirklich wahr zu sein.
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