Blut Schatten
Als ich die dünnen, dunkelblauen Spuren unter ihrer Haut entdeckte, konnte einen Laut des Entsetzens nicht unterdrücken. Flugs sah ich Darian an. »Sind sie abgezogen?«
»Faye, wie ...«
»Sind – sie – abgezogen, Darian?«, wiederholte ich meine Frage mit deutlich mehr Nachdruck.
»Ja.«
»Gut.« Ich trat beiseite und wies auf Kimberlys Wunde. »Das hier ist deine Baustelle, kümmere dich darum. Wo ist Alistair?«
»Draußen. Er redet mit Steven.« Als ich an ihm vorbeigehen wollte, hielt er mich am Arm fest. »Faye, was war das eben?«
»Was meinst du?«
Seine Augen funkelten erbost. »Du weißt genau, was ich meine.«
»Ich habe dafür gesorgt, dass wir am Leben bleiben«, gab ich knapp zurück.
»Mir war bekannt, dass sie im Verborgenen lauern, Faye. Du hast durch dein Eingreifen -«
Mein Finger schnellte in die Höhe. »Verschone mich mit Vorträgen, Darian Knight. Und eins lass dir hier und jetzt gesagt sein: Ich werde mich niemals wieder zur Passivität nötigen lassen. In Zukunft entscheide ich, was ich tue und was ich lasse. Denn das«, zornig wies ich auf Kimberly, die sich gerade schniefend mit dem Ärmel die Tränen abwischte, »war unnötig. Und jetzt lass mich los. Ich habe mit meinem Bruder ein Hühnchen zu rupfen.«
»Vielleicht solltest du vorher -«
Mein zorniger Blick ließ ihn sofort verstummen. »Halt dich da raus, Dad.«
Er zuckte zusammen und hob beide Hände. »Kein Problem. Tut einfach so, als wäre ich nicht vorhanden.«
»Hört auf zu streiten«, erklang Kimberlys dünne Stimme; Tränen schwammen in ihren Augen, als sie uns nacheinander anklagend ansah. »Niemand von euch hat Schuld an der Sache. Ich habe nicht aufgepasst.«
Ich ging neben ihr in die Hocke und sah sie sanft an. »Es ist nicht wegen dir, Kim. Fehler passieren, nur müssen wir ihr Ausmaß möglichst gering halten.« Obwohl es in mir brodelte, küsste ich sie sanft auf die Stirn, stand wieder auf und begab mich zur Tür. Da erklangen im Flur laute Schritte.
»Die Luft ist wieder rein«, verkündete Alistair bei seinem Eintritt. Er verharrte, sein Lächeln gefror, er sah sich lauernd um. »Stimmt etwas nicht?«
»Gut erkannt, Bruder.« Meine Hand auf seiner unverletzten Schulter beförderte ihn zurück in den Gang. Ich erblickte Jason und Steven, die mich merkwürdig musterten, und lächelte ihnen kühl zu. »Der Wasserkessel dürfte gleich pfeifen, Jason. Seien Sie doch bitte so gut und brühen Sie für Kimberly einen Tee auf. Danke. Wir zwei haben indes zu reden, Bruderherz.«
Einen Augenblick sah er sich fragend um, blickte jedoch nur in ahnungslose Gesichter. Er seufzte tief. »Also gut. Den Weg in mein Büro kennst du ja schon.«
Er stutzte, als ich energisch den Kopf schüttelte. »Ich möchte den Raum sehen, wo du meditiert hast.«
»Das halte ich für keine -«
Mit flammendem Blick unterbrach ich ihn: »Sofort, Alistair. Unterwegs können wir Verbandsmaterial für deine Schulter auftreiben.« Ich stampfte zornig mit dem Fuß auf. «Und nein, ich habe weder Nägel gegessen noch auf einem Superheldenroman geschlafen. Ich bin einfach nur sauer, klar?«
Verblüfft sah er zu Darian hinüber. »Kann sie Gedanken lesen?« »Ja«, kam es ihm dreifach entgegen, und Darian fügte trocken hinzu: »Gewöhn dich am besten gleich daran, dass ihr nur wenig entgeht.«
»Du meinst ...?« Alistairs Blick drückte Erstaunen aus. »Bist du sicher?«
Darians Miene wirkte angespannt. »Wenn du nicht aufpasst, dann schon.«
Ich wartete derweil darauf, dass Alistair sich endlich in Bewegung setzte. Inzwischen tappte meine Fußspitze ein verärgertes Stakkato auf den Linoleumboden der Küche.
»Also gut. Komm mit.« Er ging voran.
Ich folgte ihm aus der Küche und wartete im Flur, da er einen kurzen Abstecher ins Bad unternahm, um mit einer Verbandszeugkiste unter dem Arm wieder aufzutauchen. Dann lief ich hinter ihm die Treppe hinauf in die darüberliegende Etage. Er öffnete die Tür mit einem Schlüssel und bat mich einzutreten. Auch in diesem Apartment gab es einen langen Flur; drei Türen gingen nach rechts ab und eine weitere lag am Ende des Ganges, während sich auf der linken Seite nicht eine einzige befand. Ansonsten ähnelte die Wohnung der darunterliegenden stark. Alles wirkte etwas schmutzig und verstaubt, wie monatelang nicht gereinigt. Ich wich einem Spinnennetz aus, stieg über einen alten Eimer hinweg und folgte meinem Bruder bis zum Ende des Ganges. Abermals zückte er den Schlüsselbund, zog
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