Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
leuchteten mit feurigem Glanz, wie er auf der Erde unvorstellbar war.
    Als zweites bemerkte er, dass Aufregung im Rekonvaleszenzraum herrschte – Murmeln, dann Rufe, dann ein schriller Schrei. O lieber Gott, das ist Marilys!, dachte er, rappelte sich von der Jaunt-Liege auf und kämpfte gegen das Schwindelgefühl.
    Ein zweiter Schrei, dann sah er Jaunt-Stewardessen, deren rote Overalls um die Knie flatterten, auf ihre Liegen zugelaufen kommen. Marilys taumelte fingerzeigend auf ihn zu. Sie schrie wieder, fiel zu Boden und stieß eine unbesetzte Jaunt-Liege mit der tastenden Hand den Gang entlang.
    Aber Marilys war der Richtung schon gefolgt, in die ihr Finger gedeutet hatte. Er hatte es gesehen. In Rickys Augen war nicht Angst gewesen, sondern Aufregung. Er hätte es wissen müssen, weil er Ricky kannte – Ricky, der mit nur sieben Jahren von der höchsten Astgabel des Baums in ihrem Garten in Schenectady gefallen war, der sich dabei den Arm gebrochen hatte (und von Glück sagen konnte, dass es nicht mehr gewesen war); Ricky, der mit seinem Schwebebrett schneller und weiter fuhr als alle anderen Kinder aus der Nachbarschaft; Ricky, der als Erster jede Herausforderung annahm. Ricky wusste nicht, was Angst ist.
    Bis jetzt.
    Rickys Schwester schlief barmherzigerweise noch neben ihm. Das Ding, das einmal sein Sohn gewesen war, zuckte und warf sich auf der Jaunt-Liege hin und her, ein zwölfjähriger Junge mit schneeweißem Haarschopf und Augen, die unvorstellbar alt und ekelerregend gelb in den Winkeln waren. Hier lag ein Geschöpf, das älter als die Zeit war und sich als Junge verkleidet hatte; und doch zuckte und hüpfte es mit einer Art grässlicher obszöner Wonne, und die Jaunt-Stewardessen wichen entsetzt vor seinem erstickten, irren Meckern zurück. Einige suchten das Weite, obwohl sie dazu ausgebildet waren, mit einem so unvorstellbaren Vorfall fertigzuwerden.
    Die alten-jungen Beine zuckten und bebten. Krallenhände schlugen und hieben und tanzten durch die Luft; dann sanken sie unvermittelt nach unten und das Ding, das sein Sohn gewesen war, krallte nach seinem Gesicht.
    »Länger als du dir vorstellen kannst, Dad!«, kreischte es. »Länger als du dir vorstellen kannst! Ich hab die Luft angehalten, als sie mir das Gas gegeben haben! Wollte es sehen! Habe es gesehen! Habe es gesehen! Länger als du dir vorstellen kannst!«
    Meckernd und kreischend kratzte sich das Ding auf der Sprungliege plötzlich selbst die Augen aus. Blut spritzte. Mittlerweile war im Rekonvaleszenzraum ein Durcheinander von schreienden Stimmen.
    »Länger als du dir vorstellen kannst, Dad! Ich hab es gesehen! Ich habe es gesehen! Langer Jaunt! Länger als du dir vorstellen kannst …«
    Er sagte noch mehr, bevor es den Jaunt-Stewardessen endlich gelang, ihn wegzuschaffen, indem sie die Liege hastig fortrollten, während er schrie und sich die Augen auskratzte, die die unsehbare Ewigkeit gesehen hatten; er sagte noch mehr, und dann fing er an zu schreien, aber das hörte Mark Oates nicht mehr, weil er mittlerweile selbst schrie.

Der Hochzeitsempfang
    Im Jahr 1927 spielten wir Jazz in einer Flüsterkneipe südlich von Morgan, Illinois, einer siebzig Meilen von Chicago entfernten Stadt. Richtiges Hinterland, im Umkreis von zwanzig Meilen gab es keine größere Stadt. Aber jede Menge Farmerburschen, denen der Sinn nach einem heißen Tag auf dem Feld nach etwas Stärkerem als Moxie stand, und jede Menge Möchtegern-Jazzbabys, die mit ihren Freunden, Drugstore Cowboys, einen drauf machten. Außerdem ein paar verheiratete Männer (die erkennt man immer, mein Freund; sie könnten ebenso gut Schilder tragen), die einen großen Umweg auf sich nahmen, damit niemand sie erkannte, wenn sie mit ihren nicht ganz legitimen Tussis eine kesse Sohle aufs Parkett legten.
    Damals war Jazz noch Jazz, kein Lärm. Wir waren eine fünfköpfige Combo – Schlagzeug, Kornett, Posaune, Klavier, Trompete – und wir waren ziemlich gut. Das war noch drei Jahre vor unserer ersten Platte und vier Jahre vor dem Tonfilm.
    Wir spielten »Bamboo Bay«, als dieser große Typ reinkam, der einen weißen Anzug trug und eine Pfeife mit mehr Schnörkeln als ein Waldhorn rauchte. Zu dem Zeitpunkt war die ganze Band schon leicht bedudelt, aber alle in der Menge waren vollkommen blind und tobten durch die Bude. Aber alle waren in guter Stimmung; den ganzen Abend hatte es nicht eine einzige Schlägerei gegeben. Wir schwitzten alle in Strömen, und Tommy Englander, der Typ,

Weitere Kostenlose Bücher