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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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im Radio bekommen«, hatte sie geschrieben. »Betrink dich nicht, bevor du in die Stadt fährst. Ein Bier bekommst du noch, aber damit hat sich’s vor dem Essen. Glaubst du, dass unsere Straße frei befahrbar ist?«
    Ich gab ihm den Zettel zurück und nahm mein Bier. »Sag ihr, die Straße ist in Ordnung, weil gerade ein Wagen vom E-Werk vorbeigefahren ist. Sie werden sich zu uns vorarbeiten.«
    »Okay.«
    »Kumpel?«
    »Was, Dad?«
    »Sag ihr, dass alles in Ordnung ist.«
    Er lächelte wieder und sagte es sich vielleicht zuerst. »Okay.«
    Er lief zurück, und ich sah ihm nach, wie er die Füße hob, dass die Schuhsohlen zu sehen waren. Ich liebe ihn. Sein Gesicht und die Art, wie er mich manchmal anschaut, geben mir das Gefühl, als wäre alles wirklich in Ordnung. Natürlich ist das eine Lüge – vieles ist nicht in Ordnung und war es auch nie – aber mein Junge lässt mich an diese Lüge glauben.
    Ich trank etwas Bier, stellte die Dose vorsichtig auf einem Stein ab und machte mich wieder an die Arbeit. Etwa zwanzig Minuten später tippte mir jemand leicht auf die Schulter, und ich drehte mich um, und rechnete damit, ich würde Billy sehen. Stattdessen war es Brent Norton. Ich stellte die Säge ab. Er sah ganz anders als gewöhnlich aus – verschwitzt und müde und unglücklich und ein bisschen verlegen.
    »Hallo, Brent«, sagte ich. Zuletzt hatten wir ziemlich harte Worte gewechselt, und ich wusste nicht so recht, wie ich mich verhalten sollte. Ich hatte das komische Gefühl, dass er schon mindestens fünf Minuten hinter mir gestanden und sich leise geräuspert hatte, übertönt vom lauten Kreischen der Säge. Ich hatte ihn in diesem Sommer noch nie aus der Nähe gesehen. Er hatte an Gewicht verloren, aber es sah nicht gut aus. Eigentlich hätte es gut aussehen müssen, denn er hatte früher zwanzig Pfund Übergewicht mit sich herumgeschleppt, sah es aber nicht. Seine Frau war im vergangenen November gestorben. Krebs. Aggie Biber hatte es Steffy erzählt. Aggie ist unser wandelndes Sterberegister. So einen findet man überall. Norton hatte sich immer mit seiner Frau gestritten und sich herablassend über sie geäußert (was er so gleichgültig und verächtlich getan hatte wie ein altgedienter Matador, der Banderillas in den alten, schwerfälligen Leib eines Stiers bohrt), und deshalb hatte ich geglaubt, dass er über ihren Tod ganz froh wäre. Wenn mich jemand gefragt hätte, würde ich vielleicht sogar die Vermutung geäußert haben, dass er in diesem Sommer mit einem um zwanzig Jahre jüngeren Mädchen im Arm und einem dümmlichen Mein-Hahn-ist-tot-und-im-Himmel-Grinsen hier aufkreuzen würde. Aber statt des dümmlichen Grinsens hatte er nur eine Menge neuer Falten im Gesicht, und das Gewicht hatte er genau an den falschen Stellen verloren, wodurch sich Runzeln und Falten und Hautsäcke gebildet hatten, die für sich sprachen. Einen Augenblick verspürte ich den Wunsch, Norton an eine sonnige Stelle zu führen, ihm meine Dose Bier in die Hand zu drücken, ihn neben einen der umgestürzten Bäume zu setzen und eine Kohlezeichnung von ihm zu machen.
    »Hallo, Dave«, sagte er nach kurzem, betretenem Schweigen – eine Stille, die umso lauter wirkte, weil das Dröhnen und Kreischen der Motorsägen fehlte. Er verstummte, dann nuschelte er: »Der Baum … der verdammte Baum! Es tut mir leid. Sie hatten recht.«
    Ich zuckte die Achseln.
    »Ein anderer Baum ist auf mein Auto gefallen«, sagte er.
    »Es tut mir leid, das zu hö…«, begann ich, und dann überkam mich eine schreckliche Ahnung. »Doch hoffentlich nicht der T-Bird?«
    »Doch.«
    Norton hatte einen 1960er Thunderbird, tadellos erhalten, nur 30 000 Meilen. Der Wagen war innen und außen von dunkler mitternachtsblauer Farbe. Norton fuhr nur im Sommer damit, und auch dann ziemlich selten. Er liebte diesen T-Bird, so wie manche Männer elektrische Eisenbahnen oder Modellschiffe oder Pistolen zum Scheibenschießen lieben.
    »So ’ne Scheiße«, sagte ich, und meinte es ehrlich.
    Er nickte langsam. »Ich wollte erst gar nicht mit ihm hier herausfahren. Wollt den Kombi nehmen, wissen Sie. Dann sagte ich mir, was soll’s. Und jetzt ist mir eine alte morsche Tanne draufgefallen. Das ganze Dach ist eingedrückt. Ich wollte ihn absägen … den Baum, meine ich … aber der Motor meiner Säge springt einfach nicht an … zweihundert hab ich für dieses Scheißding bezahlt … und … und …«
    Leise klickende Laute drangen aus seinem Hals. Sein

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