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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Worte MEIN SOHN IST SETH ROBERT HAGSTROM verschwanden vom Bildschirm.
    Draußen verschwanden Seths Worte mit ihnen.
    Jetzt war nichts mehr zu hören außer dem kalten Novemberwind, der grimmige Werbung für den Winter vor sich her blies.
    Richard schaltete den Textcomputer ab und ging hinaus. Die Auffahrt war leer. Der Leadgitarrist der Band, Norm Sowieso, fuhr einen monströsen und irgendwie bedrohlichen Kombi, in dem die Gruppe ihre Instrumente verstaute, wenn sie zu einem seltenen öffentlichen Auftritt fuhren. Der stand nicht mehr in der Auffahrt. Vielleicht war er irgendwo auf der Welt, fuhr auf irgendeinem Highway dahin oder stand auf dem Parkplatz vor einer schmierigen Hamburger-Bude, und auch Norm war irgendwo auf der Welt, ebenso wie Darey, der Bassist mit dem beängstigend leeren Blick und der Sicherheitsnadel im Ohrläppchen, ebenso wie der Schlagzeuger, dem die Vorderzähne fehlten. Sie waren irgendwo auf der Welt, irgendwo, aber nicht hier, weil Seth nicht hier war, weil Seth nie existiert hatte.
    Seth war GELÖSCHT worden.
    »Ich habe keinen Sohn«, murmelte Richard. Wie oft hatte er diesen melodramatischen Satz in schlechten Romanen gelesen? Hundertmal? Zweihundertmal? Er hatte sich stets unwirklich für ihn angehört. Aber hier war er wirklich. Jetzt war er wirklich. O ja.
    Der Wind böte, und plötzlich bekam Richard einen schlimmen Magenkrampf, sodass er sich vor Schmerzen krümmte und stöhnte. Er furzte explosionsartig.
    Als die Krämpfe nachließen, ging er ins Haus.
     
    Als Erstes fiel ihm auf, dass Seths schäbige Tennisschuhe  – er hatte vier Paar und weigerte sich strikt, auch nur eines wegzuwerfen – aus der Diele verschwunden waren. Er ging zum Treppengeländer und fuhr mit dem Daumen über eine bestimmte Stelle. Mit zehn Jahren (alt genug, es besser zu wissen, aber Lina hatte Richard trotzdem nicht erlaubt, dem Jungen eine Abreibung zu verpassen) hatte Seth seine Initialen tief ins Holz des Geländers geschnitzt, an dem Richard fast einen ganzen Sommer lang gearbeitet hatte. Er hatte sie abgeschliffen verspachtelt und neu lackiert, aber das Gespenst der Initialen war zurück geblieben.
    Jetzt waren sie verschwunden.
    Nach oben. Seths Zimmer. Es war sauber und ordentlich und offensichtlich unbewohnt, trocken und ohne persönliche Note. Es hätte ein Schild mit der Aufschrift Gästezimmer am Türknopf sein können.
    Nach unten. Hier verweilte Richard am längsten. Die Kabelstränge waren verschwunden; die Verstärker und Mikrofone waren verschwunden; die verstreuten Tonbandteile, die Seth immer »herrichten« wollte (er hatte weder Jons Geschicklichkeit noch Konzentration), waren verschwunden. Stattdessen legte das Zimmer unverkennbar (wenn auch nicht besonders erfreulich) Zeugnis von Linas Geschmack ab – schwere, protzige Möbel und kitschige Wandbehänge aus Samt (einer stellte ein Abendmahl dar, und Christus sah aus wie Wayne Newton; ein anderer zeigte einen röhrenden Hirsch bei Sonnenuntergang vor einer Landschaft in Alaska) und ein greller blutroter Teppich. Nicht mehr das geringste Anzeichen dafür, dass ein Junge namens Seth Hagstrom dieses Zimmer einmal bewohnt hatte. Dieses Zimmer nicht, und auch kein anderes im Haus.
    Richard stand immer noch am Fuß der Treppe und sah sich um, als er ein Auto in der Auffahrt fahren hörte.
    Lina, dachte er, und verspürte fast panische Schuldgefühle. Es ist Lina, die vom Bingospielen zurückkommt, und was wird sie sagen, wenn sie sieht, dass Seth fort ist? Was … was …
    Mörder!, hörte er sie schreien. Du hast meinen Jungen ermordet!
    Aber er hatte Seth nicht ermordet.
    »Ich habe ihn gelöscht«, murmelte er und ging hinauf, um sie in der Küche zu treffen.
     
    Lina war dicker.
    Er hatte eine Frau zum Bingospielen geschickt, die rund hundertachtzig Pfund gewogen hatte. Die Frau, die zurückgekommen war, wog mindestens dreihundert, wenn nicht mehr; sie musste sich seitwärts drehen, damit sie durch die Hintertür passte. Elefantenartige Hüften und Schenkel schwabbelten unter Polyesterhosen von der Farbe überreifer grüner Oliven. Ihre Haut, die noch vor drei Stunden nur teigig gewesen war, war jetzt kränklich und blass. Obwohl er kein Arzt war, glaubte Richard aus dieser Haut einen ernsten Leberschaden oder das Anfangsstadium einer Herzkrankheit lesen zu können. Ihre Augen mit den schweren Lidern musterten Richard voll ständiger, gleichgültiger Verachtung. Sie trug den tiefgefrorenen Kadaver eines riesigen Truthahns auf

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