Blut und Harz
hat er das verdient? Er ist immer nett und aufrichtig. Er hilft, wo er kann. Warum bist du so grausam?«
Ihre Fragen wurden nicht beantwortet.
Stattdessen wurde ihr in diesen Augenblicken, als sie so einsam auf dem Bett saß, bewusst, wie sehr ihr bereits die Schultern schmerzten. Von der unnatürlichen, verbogenen Haltung war ihr Nacken verspannt. Die Muskeln fühlten sich wie Stahlträger an.
Gleichzeitig waren ihre Füße beinahe taub. Der nackte Steinboden strahlte zusätzlich Kälte aus, die ihr die gesamten Beine bis in die Hüfte hinauf kroch. Ihre Strümpfe starrten vor Dreck und waren feucht.
Natalja begann leise zu wimmern. Es war einfach zu viel. Sie würde sich hier eine Blasenentzündung oder noch Schlimmeres holen. Schon seit einer guten Stunde war sie ohne Schuhe unterwegs. Anfänglich hatte sie die Kälte gar nicht gespürt, aufgeputscht vom Adrenalin und der Bewegung. Doch nun, in der verwaisten Stille ihrer Zelle, brandete die Auskühlung wummernd durch ihre Beine.
Erschöpft und leise schniefend zog Natalja ihre kalten Füße auf die Matratze, schloss die Augen und lehnte sich mit dem Rücken, soweit es ihre Fesseln zuließen, an die raue Wand. Sie stellte sich vor, dass Elias neben ihr saß und sich an sie kuschelte. Sein Körper war warm und weich. Bei ihm fühlte sie sich geborgen.
Doch die Steine hinter ihr waren kalt und hart.
Sie zwinkerte. Die einsame Zelle begrüßte sie. Machtlos stellte sie fest, dass träumen und beten auch nichts half und dass ihr jetzt nur noch eines übrig blieb: Warten.
Doch was sollte sie dem brutalen Mönch schon erzählen? Dass Erik und Alexander nun gemeinsame Sache machten war diesen Männern bereits klar. Dass Alexander aber ihr Bruder war noch nicht. Das würde ihr Geheimnis bleiben. Ja, dachte sie entschlossen, sie würde ihnen kein Erpressungsmittel an die Hand geben. Reichte schon, dass sie die Freundin von Elias war.
Und was war mit den Mitwissern? Davon wusste sie sowieso nichts. Sie war ja erst später dazu gestoßen. Das würde man ihr sicher abnehmen.
Am besten wäre es, wenn sie den Mund halten würde, entschied sie. Oder gleich mit der Wahrheit rausrücken. Sie musste ja nicht alles sagen. Wenn sie nur erzählte, dass sie sich zu dritt vor der Polizei verstecken wollten, in einem Unterschlupf des Raben, dann war das vollkommen korrekt.
»Scheiße!« entfuhr es ihr. Egal, wie sie es anstellen würde, sie war keine gute Lügnerin. Das wusste sie. Elias hatte schon immer jede ihrer winzigen Notlügen durschaut. Hatte sie ein spontanes Geschenk für ihn gekauft, er hatte es ihr am selben Tag noch angesehen, bevor sie es ihm schenken konnte. Und wenn Elias das schon schaffte, dann würde dieser Bruder Johannes mit seiner weitaus größeren Lebenserfahrung sie todsicher entlarven und dann? Was würde sie unter Folter verraten? Wie lange würde sie Schmerzen widerstehen können?
Natalja wusste es nicht. Noch nie in ihrem Leben hatte sie überhaupt an eine Folter gedacht, woher sollte sie dann damit Erfahrungen haben? Sie dachte erneut an die gestellten Szenen im Fernsehen. Pahhh! Alles nur Humbug! Die Realität war hundertprozentig grausamer. Oh Elias! Wärst du doch nur hier!
Ein rasselndes Geräusch ertönte gedämpft vor ihrer Tür. Es klackerte in der Schließmechanik, etwas knackte, dann schwang die Tür nach innen auf.
Bruder Johannes stand erneut im Türrahmen. Er trug immer noch seine waldfarbenen Roben, doch den dicken Überwurf hatte er abgelegt. Ein Schlüsselbund wanderte klimpernd in sein Gewand.
»Und hast du dich schon eingelebt?« fragte er lächelnd. »Ich denke, dir wird es hier gut gefallen.« Er trat gemütlich ein und schloss die Tür hinter sich. »Wusstest du, dass du seit langem die erste Frau bist, die diesen Grund und Boden betreten hat?« Sein Grinsen wurde breiter, während er sich an die nun geschlossene Türe lehnte. »Also ich kann mich an keine Frau hier erinnern. Du kannst dir vorstellen, wie hungrig meine Brüder sind. Hungrig nach frischem Fleisch.«
Die letzten Worte hatte er dramatisch betont.
Natalja hoffte instinktiv, dass er nur mit ihr spielte und maßlos übertrieb, doch trotzdem lief ihr ein eiskalter Schauer bei seinen Worten über ihren Rücken. Alleine die Vorstellung an Bruder Johannes trieb ihr den Schweiß aus den Poren, aber ein ganzes Kloster!
Der Mönch lachte scharrend. »Du brauchst deine kleinen Äugelein gar nicht so weit aufreißen. Ich mache dir einen Vorschlag.« Mit einer Eleganz,
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