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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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davon.«
    »Sie sind ein widerlicher Wixer!« rief sie und spuckte erneut aus. Dieses Mal verfehlte sie ihn aber knapp.
    Reimund reichte es trotzdem. Er setzte zu einem scharfen Verweis an, doch er spürte, dass sie nicht mehr alleine auf dem Innenhof waren. Jemand befand sich in seinem Rücken.
    Ohne seinen Griff zu lockern, mit dem er Natalja festhielt, drehte er sich zum Klostergebäude um.
    Sechs Schemen standen vor dem Eingang, gefährlich und düster. Hätte Reimund nicht gewusst, dass es Realität war, er hätte geglaubt, einen verhängnisvollen Psychothriller zu sehen. Die Gestalten trugen ihre Kapuzen tief. Die Gesichter lagen in der Dunkelheit verborgen. Hätten sie noch Sensen in ihren knochigen Fingern geschwungen, wäre das Bild des heranschreitenden Todes perfekt gewesen.
    Reimund erkannte trotzdem alle schon alleine an der Körperhaltung. Sie waren allesamt wie Johannes vom alten Eisen, bei weitem länger schon im Kloster als er selbst. Jeder von ihnen hätte damals Abt werden können, doch der alte Greis hatte ihn als Nachfolger erwählt. Seine Beweggründe waren bis heute nicht bekannt. Auf Fragen lächelte der ehemalige Abt nur schelmisch und verschwand wieder in seinem Hain.
    Natalja keuchte bei dem bizarren Anblick in seinen Armen, doch Reimund interessierte es nicht. Sollte sie doch etwas leiden, stellte er zufrieden fest. Gebannt musterte er seine Brüder, die sich wie eine einzige Person in Bewegung setzen und auf ihn zukamen.
    Der Anblick raubte ihm den Atem und die Bedeutung ihres Auftrittes ließ ihn erzittern.
    Es konnte nur eines bedeuten.
    Einer der Sechs lief einen halben Schritt vorne weg. Ein dichter, struppiger Bart, so grau wie dreckiger Schnee, lugte aus der Nacht hervor und hing ihm bis knapp über die Brust. Er war der Älteste seiner Brüder, wenn man vom ehemaligen Abt absah. Er war einer der Härtesten und Zähesten. Ganz alte Schule. Er hatte Südengland im Schnee versenkt und wäre sein Auftrag nicht eindeutig gewesen, wäre die Insel mit Sicherheit unter einer Schicht aus Weiß vollkommen erstickt. Er war ein wahrer Meister des Winters. Doch Bruder Toss hatte lebend zurückkehren sollen, also hatte er seine Aufgaben befolgt.
    Er wäre aber mit Sicherheit in den kalten Tod gegangen, dachte Reimund. Konservativ waren alle Brüder des Klosters, doch wenn jemand den Begriff erzkonservativ verdiente, dann nur Bruder Toss.
    In diesem Moment blieb die Gesellschaft kurz vor Reimund stehen.
    »Wohin führt euch der Weg, Brüder?« fragte Reimund, obwohl er die Antwort darauf kannte.
    Toss erhob das Wort. Seine Stimme war klar und klirrend wie ein Gebirgsbach. »Eine Schöpfung ruft, verehrter Abt. Die Zeit drängt.«
    Reimund nickte wissend. »Es ist selten, dass gleich sechs Schöpfungen auf einmal rufen. Die Wende naht.«
    Bruder Toss schob sich näher an Reimund heran. »Wer spricht von mehreren Schöpfungen?« Die Worte kamen wie das Brechen von Glas.
    Überrascht legte Reimund den Kopf leicht schief. Natalja strampelte heftiger, doch er hielt sie eisern fest. »Ich dachte …«
    Der Bärtige unterbrach ihn. »Eine Schöpfung ruft, tosend und eisig. Der Winter wird heute noch unerbittlich über Europa fauchen.« Seine Stimme war angeschwollen wie ein Sturm, doch unvermittelt erstarb sie zu einem Flüstern. »Aber Ihr habt Recht, verehrter Abt. Die Wende naht.«
    Die Gemeinschaft setzte sich ohne weitere Worte wieder in Bewegung. Ohne Hast verschwanden die sechs Mönche zwischen den mittelalterlichen Mauern in der Dunkelheit.
    Reimund blickte ihnen hinterher, dann schluckte er schwer. Eine gemeinsame Schöpfung hatte er noch nie erlebt. Er wusste, zu was ein jeder einzelne dieser Männer fähig war, zu was er selbst fähig war, doch eine Bündelung der Kräfte überspannte sogar sein Vorstellungsvermögen. Diese Schöpfung würde wahrhaft verheerend ausfallen. Sie würde in jedes Geschichtsbuch eingehen, vorausgesetzt es würde danach noch welche geben.
    »Es ist also endlich so weit«, raunte Johannes ehrfürchtig neben ihm. Im trüben Schein der Lampen erkannte Reimund, dass die Augen seines Bruders feucht glitzerten.
    Mit einer entschiedenen Geste schob er Natalja wieder zu Johannes hinüber. Dieser zuckte zusammen.
    »Bring sie erst Mal ins Kloster und schau was du aus ihr herausbekommst«, befahl Reimund. »Ich kümmere mich um Erik und diesen Raben. Du sagtest, sie waren zuletzt auf dem Waldcampingplatz?«
    Johannes nickte, während er Natalja wieder sicher in seine Klauen

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