Blut und Harz
scheinbar edlen Ziele verfolgt, wie ihr sagt, warum schickt ihr Erik dann einen Berufskiller an den Hals? Hat das was mit Vernunft und Menschlichkeit zu tun?«
Es war einfach so widersinnig, was dieser Greis von sich gab. Ja, er hatte sie im letzten Moment gerettet. Ja, er war freundlich und nett zu ihr gewesen und verdammt, ja, er hatte Bruder Johannes getötet, aber einen Killer auf einen Geschäftsmann zu hetzen war unentschuldbar! Und das war nicht Bruder Johannes gewesen, sondern Raphael.
Von draußen drangen dumpfe Schläge herein und störten die nächtliche Ruhe. Interessieren taten sie den Alten aber scheinbar nicht.
Der Mönch seufzte nur laut und fuhr unbeirrt fort: »Erik Ritter ist ein Problem, wenn er zu viel weiß.«
»Warum?«
»Weil er kein grünes Herz in seiner Brust trägt. Er könnte uns gefährlich werden.«
»Und das wisst ihr so einfach? Kennt ihr Erik?«
Der Alte starrte sie durchdringend an, doch Natalja hatte das Gefühl, als blicke er geradewegs durch sie hindurch. Einige Sekunden sagte der Mönch gar nichts, dann nickte er erneut.
Weitere Geräusche drangen von draußen herein. Es hörte sich an, als würde ein Schmied seinen Hammer auf den Ambos tanzen lassen, nur sehr schnell.
Die Furchen auf der Stirn des Mönchs wurden eine Spur tiefer. Er blickte kurz in die Richtung, aus der die Störung kam, dann fuhr er fort: »Ja, ich kenne Erik Ritter und er trägt kein grünes Herz in seiner Brust.«
Mit entschiedener Geste unterband der Mann jegliche Erwiderung. »Genug von ihm. Wir sind hier, weil in dir ein grünes Herz schlägt. Deshalb wirst du nun die Wahrheit erfahren. Die Wahrheit über uns, was wir tun, warum und weshalb. Es ist Zeit.«
Der Mann kam einen Schritt auf sie zu und Natalja wich genauso weit im Zimmer zurück. Sie wusste, dass sie bald die Steinwand im Rücken haben würde, doch es gab ihr einen Hauch mehr Zeit. Ihre Gedanken überschlugen sich fieberhaft.
Sie musste fliehen! Jetzt!
»Du brauchst keine Angst vor der Wahrheit zu haben«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Aber erfahren wirst du sie und danach eine Entscheidung treffen.«
»Und wenn ich mich weigere?« schrie Natalja ihm entgegen. Sie kam nicht vorbei! Er schnitt ihr geschickt den Weg ab.
»Dann werde ich dich dazu zwingen, verehrte Tochter, auch wenn es mir zutiefst zuwider wäre.«
Die feinen Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf. Zwingen?!
Erneut drangen zwei gedämpfte Pengs herein.
»Lasst mich in Ruhe!« kreischte sie.
Ein lautes Bersten, wie wenn Stein von einer Klippe herabbrandete und tief unten auf Felsen aufschlug, erhob sich draußen vor dem Fenster. Die Bleiglasscheibe vibrierte klirrend.
Der Alte blickte erneut irritiert auf und verengte die Augen. Seine buschigen Augenbrauen wölbten sich gefährlich weit über seine Pupillen. Mitten in der Bewegung blieb er zusätzlich stehen und lauschte angestrengt. Auch Natalja war stehengeblieben, doch es lag an der kalten Wand in ihrem Rücken.
»Was ist dort schon wieder los?« fragte er sich murmelnd. Dann schüttelte er abtuend den Kopf und fokussierte wieder Natalja.
Ein weiterer Donner erfüllte die Luft und ließ die Scheibe zum zweiten Mal erbeben. Der Laut hörte sich nun eindeutig nach einer Explosion an.
»Bei allen gütigen Seelen!« hauchte der Alte. »Was stellen diese ungestümen Kinder mit dem Kloster an?«
Er wollte zur Tür herumfahren, doch im selben Augenblick donnerte eine zweite Explosion hallend durch die Zimmer.
Kapitel 26
Mit klopfendem Herzen drückte sich Erik an die kühle Außenwand. Er schluckte schwer und starrte dem bläulich schimmernden Ball nach, der rotierend über den Innenhof sauste und eine Spur aus Laub und Eiskristalle hinter sich her zog.
Hätte Alexander nur einige Augenblicke früher versucht, in den Gang einzudringen, hätte ihn dieses Zaubereis direkt in die Brust getroffen. Was dann mit ihm geschehen wäre, wollte Erik sich lieber nicht ausmalen.
»Warte noch«, zischte Alexander. Er stand direkt vor ihm.
Die Kugel aus Eis touchierte in diesem Moment die Oberkante der Außenmauer. Stein knackte, dann verschwand sie raschelnd zwischen den fallenden Schneeflocken und Bäumen.
Alexander schien in Gedanken bis zehn zu zählen, dann lugte er vorsichtig um das ausgeborstene Ende des Eingangsportals. Da er nicht augenblicklich zurückzuckte, trat Erik hinter ihn und wagte ebenfalls einen Blick.
Der Flur war leer.
Auf einem breiten Sims, das die Mauer zu beiden Seiten auf Brusthöhe
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