Blut und Harz
Strumpfknäul aus dicker Wolle.
»Es sind die einzigen, die dir passen könnten«, fuhr der Alte fort. »Aber ohne feste Sohlen unter den Füßen holst du dir noch den Tod. Beeilt euch, verehrte Tochter. Es ist schon spät und wir müssen los.«
»Los? Wohin?«
Ahhh … die Socken fühlten sich wohlig warm an und vertrieben augenblicklich das eisige Gefühle in ihren Füßen.
»Dir die Wahrheit zeigen.«
Natalja hielt inne und blickte von ihren Füßen auf. »Und dann soll ich in euren Verein eintreten? Johannes hat das gesagt.« Sie deutete auf die Stelle, wo der Mönch zusammengebrochen war. »Ich soll eine Nonne werden. Ich bin doch nicht bescheuert. Ich weiß nicht einmal, wer ihr seid. Niemand weiß etwas über dieses Kloster. Nichts. Selbst wenn ich gläubig wäre, würde ich nicht blindlings in eine unbekannte Klostergemeinschaft eintreten! Ihr seid verrückt! Ich nicht!«
»Mit Glauben hat das nichts zu tun«, erwiderte der Mönch ruhig. »Es geht rein um die Wahrheit.«
»Und wenn ich sie nicht hören will, Eure Wahrheit? Was dann? Habe ich dann zu viel gesehen? Ich weiß schon eine Menge über euch, oder? Hetzt ihr mir dann auch einen Killer an den Hals? Ihr könnt es gerne tun.«
Sie hatte ihre Schuhe fertig gebunden. Sie waren zwar zu groß, aber nicht vollends unbequem. Sie konnte damit vorübergehend gut laufen. Forsch stand sie auf.
Der Alte seufzte.
»Das ist unser ewiges Dilemma, verehrte Tochter. Unser Dienst geschieht im Verborgenen. Wir sind unbekannt für die Außenwelt, unsichtbar, auch wenn wir in ihr auftreten. Wir wissen, unsere Spuren zu verwischen.
Nur das ist der Kern des Problems. Um unsere Aufgaben zu erläutern, um Menschen für uns zu überzeugen, müssen wir viel von uns preisgeben. Zu viel. Bisher hat zwar noch nie jemand mit einem grünen Herz sich daraufhin gegen uns entschieden, doch die Gefahr besteht immer. Wir müssten dich töten. Ganz offen und ehrlich.« Seine Wangenknochen traten kurz markant hervor, dann entspannten sie sich wieder. »Aber eine andere Wahl haben wir auch nicht. Also spielt es keine Rolle ob du entführt wurdest oder nicht. Du bist hier und das alleine zählt. Du wirst nun die Wahrheit über uns erfahren und hast dann die Wahl: Bei uns dienen oder sterben.«
Natalja schüttelte verbittert den Kopf. Sie hatte etwas in der Art erwartet, doch die Worte in Realität zu hören war etwas völlig anderes als in ihrer Vorstellung. Sie war wirklich in eine kranke Sekte geraten.
»Was ist das für eine Wahl ?« fragte sie. »Friss Gift oder stirb.«
»Warum siehst du unseren Dienst als Gift an, verehrte Tochter?« Der Alte neigte den Kopf zur Seite und sah sie fragend aus seinen alten Augen an. Dicke Tränensäcke hingen schlaff darunter und warfen Schatten über seine Wangen. »Du weißt noch nicht einmal, für was wir einstehen und doch verurteilst du uns.«
Natalja schnaubte. »Euer verehrter Bruder Raphael schickt meinem Schwiegervater einen Killer an den Hals, mein Freund wird von diesem über den Haufen gefahren und liegt schwerverletzt im Koma, daraufhin versucht Bruder Johannes uns alle umzubringen, entführt mich und will mich anschließend noch brutal vergewaltigen.« Ihre Stimme überschlug sich hysterisch. »Und ihr nennt das vorschnell verurteilen? Ich glaube, ich spinne. Egal was ihr hier tut, es kann nichts Vernünftiges sein!«
Der Alte neigte zustimmend den faltigen Kopf. Gelassen antwortete er: »Die Umstände, unter denen du uns kennengelernt hast, sind wahrlich verheerend. Du bist die erste, die gewaltsam entführt wurde. Seit Jahrtausenden. Normalerweise warten wir einen geeigneten Moment im Leben des Auserwählen ab und reden mit ihm, doch in deinem Fall war das offensichtlich nicht möglich.« Er faltete die Hände in stoischer Ruhe vor der Brust. »Und was ehemaliger Bruder Johannes getan hat, ist nicht zu entschuldigen. Seine Seele war verwirrt und krank. Er hat dafür aber auch seine gerechte Strafe erhalten. Beschwert euch also nicht, verehrte Tochter. Ich habe vorhin einen Menschen für euch getötet.« Er lächelte großväterlich, als freue er sich über seine nächsten Worte. »Ich entschuldige mich hiermit auch im Namen des Klosters und aller meiner Kinder aufrichtig bei dir. Aber wir leben nun mal in gefährlichen Zeiten. Die Umstände sind widrig. Und auch wir sind nicht unfehlbar, sondern aus Fleisch und Blut und können nicht alles beeinflussen.«
Natalja schüttelte protestierend den Kopf. »Wenn ihr solche
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