Blut und Harz
Unwägbarkeiten und die Wendungen des Lebens, die Unplanbarkeit von Ereignissen waren einfach nicht vorhersehbar, egal wie viel Zeit er in die Vorbereitung steckte. Und das war immerhin der Großteil. Kowalski verglich es immer mit Malerarbeiten. Klebte man nicht fein säuberlich ab, erhielt man kein sauberes Ergebnis und hatte danach die Scherereien. Genauso verhielt es sich mit der Reinigung der Pinsel und Malerrollen am Ende eines Tages. Unsaubere Arbeit führte einfach immer nur zu Problemen, Zeitverlust und Ärger.
Alexander atmete noch einmal tief durch, dann schlüpfte er in feine, schwarze Lederhandschuhe, die er aus einem Plastikbeutel hervor holte, den er in seiner schwarzen Jackentasche getragen hatte. Der Beutel verschwand sofort wieder in der Jacke.
Alexander öffnete die Wagentüre und trat ins Freie. Der Geruch des Waldes umfing ihn. Es roch nach goldenem Harz, nach erdigen Tannennadeln, nach dem intensiven Aroma von geschnittenem Holz. Der Rand der kleinen Lichtung war mit aufgestapeltem Brennholz zugestellt. Er sah zwar nur Schemen und grobe Formen, aber er hatte die Lichtung wie die Wege vorher begutachtet. Er befand sich etwa einen Kilometer nördlich des Anwesens des Waldbauern Kühnle auf einem privaten Holzplatz. Ein schmaler Fußweg, mehr ein mit Wurzeln übersäter Trampelpfad, führte quer durch den Wald am Anwesen vorbei. Wie Alexander herausgefunden hatte, wurde der Pfad hauptsächlich von Mountainbikern benutzt, die hier ab und an ihr Training absolvierten.
Aus einer Reisetasche, die auf dem Rücksitz lag, holte Kowalski einen schweren Ledergürtel hervor, der mehr einem Holster glich. Mit gekonnten Bewegungen legte er den doppelten Gürtel um die Schultern und verschloss die Schnallen. Am Gürtel selbst waren diverse Werkzeuge und Utensilien befestigt: Schraubenzieher, Zangen, Taschenlampen, kleine Messer, Verbandszeug, Schnur, diverse Drähte, Feuerzeuge und etliche weitere praktische Dinge. An den Seiten waren zwei Pistolenholster angebracht, in denen zwei SIG Sauer P226 mit montiertem Schalldämpfer steckten. Beide vollgeladen. An der Vorderseite, etwa auf Höhe der Brust waren drei Handgranaten angebracht, die sicher befestigt waren.
Alexander prüfte routiniert den Sitz aller Objekte. Alles passte. Zufrieden nickte er in die Dunkelheit. Auch wenn er das wenigste seiner Ausrüstung heute Nacht benutzten würde, er fühlte sich sicherer, wenn er umfangreich ausgestattet war. Somit konnte er auf die unwahrscheinlichsten Eventualitäten zügig reagieren.
Als letztes holte er noch vorsichtig ein kleines verschnürtes Päckchen von der Größe einer Pralinenschachtel aus der Reisetasche hervor: Eine Brandbombe. Sie ließ sich durch einen einfachen, mechanischen Mechanismus aktivieren und die Leute von der Spurensicherung würden sie nie als Brandbombe identifizieren. Es würde nach einem natürlichen Brand aussehen, nicht nach Brandstiftung.
Mit Klettband befestigte er das Päckchen auf seiner Brust, dann schlüpfte er in einen weiten, schwarzen Mantel, der so weich wie die Sünde selbst war. Flexibilität war wichtig und alle Kleidungsstücke mussten perfekt passen und ihm höchstmögliche Bewegungsfreiheit garantieren. Als der Mantel säuberlich zugeknöpft und alle Waffen unter dem Stoff verborgen lagen, sperrte er den Wagen ab.
Ein frischer Wind pfiff durch die Bäume, ließ die mit Nadeln gespickten Äste sanft wanken und erzeugte ein unheimliches Rascheln. Dazu rief irgendwo eine Eule. Kowalski lächelte. Eine Eule bedeute in manchen Regionen Glück, in anderen Unglück. Das wusste er. Heute Nacht würde sie ihm Glück bringen, dem Waldbauern hingegen das Gegenteil. Es war wie mit allen Dingen im Leben eine Frage der Sichtweise.
Die kühle Luft rötete seine Wangen, doch Alexander war nun in seinem Element. Er stülpte sich eine dünne, schwarze Maske über den Kopf, aus der nur die Augen und die Nase hervorlugten. Dann setzte er sich zielstrebig Richtung Süden in Bewegung.
Der mit Tannennadeln und Sägespänen übersäte Boden dämpfte seine Schritte. Er wurde zu einem huschenden Gespenst. Nach wenigen Metern verschwand Alexander Kowalski vollständig zwischen den Bäumen und verschmolz mit der Nacht.
Der Rabe war wieder unterwegs.
***
Ein letzter Schluck Rotwein schwankte gemächlich durch das bauchige Glas, anmutig wie ein edler Cognac. Erik starrte abwesend durch die dunkelrote Flüssigkeit, die er eine Runde nach der anderen kreisen ließ. Wie lange er das schon
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