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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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Festschmaus beginnen. Setz dich!« Der Bär deutete auf den freien Platz zu seiner Rechten. »Was hat dich so lange aufgehalten?«
    Alexander ließ sich seufzend auf den weich gepolsterten Sessel sinken. »Das verdammte Wetter, Onkel. Wegen Heilig Abend haben sich alle Räumdienste nach Hause verpisst. Draußen schneit es immer heftiger. Ich bin mit dem Auto hierher geschlichen. Ich dachte, ich komme gar nicht mehr an.«
    Sergei nickte nur verstehend, da er die harten, polnischen Winter nur zu gut kannte, und klatschte dabei laut in die Hände. Sofort kamen zwei zierliche Dienstmädchen hereingeschneit, die mit Sicherheit nur auf das Zeichen ihres Auftraggebers gewartet hatte. Beide hätte Alexander sofort als Unterwäschemodels gebucht, wenn er in der Modebranche tätig gewesen wäre, und beide trugen mit außerordentlicher Grazie silberne, schwere Tabletts in Händen, die mit dem weihnachtlichen Abendfestmahl beladen waren. Trotz ihrer Gewandtheit hatten die zwei Schönheiten sichtlich Mühe, nichts von den Köstlichkeiten zu verschütten, da die Servierbretter hoffnungslos überladen waren. Schlagartig erfüllte der Geruch nach gegartem Fleisch, gewürzgeschwängerter Bratensoße, dampfendem Kohlgemüse und frisch gebackenem Brot den Raum.
    Während das duftende Essen aufgetischt wurde, begrüßte Alexander die anderen Anwesenden knapp mit einem Nicken und freundlichen Worten.
    Zur linken Sergeis saß seine momentane Lebensgefährtin Zuzanna. Sie war Anfang dreißig, gute 15 Jahre jünger als Sergei, und so flachbrüstig, dass sie als Junge durchgehen konnte. Alexander hatte nie verstanden, warum diese bubenhafte Frau seinem Onkel die Augen verdreht hatte, bis er sie zufällig einmal im Tanga durch den Flur huschen hatte sehen. Bei dem Anblick ihres perfekt geformten Bilderbuchhinterns – Apfelarsch deluxe – konnte jeder Mann auf Brüste verzichten.
    Neben Zuzanna saß ein Freund von Sergei namens Kamil. Beide kannten sich seit der Schule. Kamil war Dauersingle, hatte seine Eltern als Jugendlicher bei einem Autounfall verloren und für ihn war Sergei seine Ersatzfamilie. Alexander mochte Kamil nicht. Der unauffällige, dunkelhaarige, blasse Pole glänzte höchstens durch seine nicht vorhandene Ausstrahlung und seinen kargen Wortschatz. Traf man die beiden irgendwo an, erinnerte man sich grundsätzlich danach nur an Sergei und seinen »Freund«. Niemand konnte sich an Kamil wirklich erinnern, weshalb er liebevoll von Allen »das Gespenst« genannt wurde.
    Auf der anderen Seite neben Alexander saß Oliwia, eine rundliche Frau Mitte Fünfzig mit tiefen Lachgrübchen und hüpfendem Doppelkinn. Sie war die gute Seele des Hauses, denn sie arbeitete als Haushälterin seit über zwanzig Jahren für Sergei. Bei seinem Onkel war es seit dem ersten Weihnachtsfest mit Oliwia Brauch, dass sie an diesem einen Abend im Jahr sich einmal verwöhnen lassen konnte. Sie arbeitete immer, war ständig im Einsatz und murrte niemals. An Weihnachten gehörte sie dann für einige Stunden richtig zur Familie.
    Neben Oliwia saß der letzte Gast des heutigen Abends. Es war Sergeis unauffällige Cousine Paulina. Eigentlich gehörte sie nicht wirklich zur Familie, was die emotionale Ebene betraf. Sie hatte bis vor einem halben Jahr mit ihrem Mann Jaroslaw zusammengelebt und sich kein einziges Mal bei Sergei gemeldet. Wie aus heiterem Himmel hatte Sergei im Sommer dann ein Hilferuf von Paulina erreicht. Jaroslaw hatte sie brutal zugerichtet und das nicht das erste Mal. Es war eine dieser typischen Geschichten: Erst Friede, Freude, Eierkuchen, viel Knutschen, unzertrennbar wie Kletten, dass es sogar die Freunde schon störte. Dann die ersten Grobheiten, eine Ohrfeige, dann Schläge und Tritte. Doch Paulina hatte geschwiegen und war bei ihm geblieben, bis er ihr eines Abends aus einer puren Laune heraus den Arm und die Nase brach. Verzweifelt hatte sie Sergei um Hilfe gebeten. Zwei Tage später lag Jaroslaw einen Meter Achtzig tiefer und Paulina war von ihren Qualen befreit. Alexander hatte den Mord durchgeführt. Einfach und unkompliziert. Eine Kugel in den Kopf. Das Ende einer kleinen Tragödie. »The fairytale gone bad«, wie es im Lied so schön hieß.
    Das letzte silberne Tablett landete sachte auf der Tischplatte. Darauf lag glasierter Rosenkohl und in Butter und Rosmarin geschwenkter Brokkoli. Alexander lief bei dem herzhaften Duft das Wasser im Mund zusammen, doch er wartete bis Sergei das Festmahl eröffnete. Dieser erhob sich kurz zu

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