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Blut und Harz

Blut und Harz

Titel: Blut und Harz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Leibig
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Träumen.
    Als er zwischen den dicken Stämmen hervortrat, waren die Fenster des Klosters hell erleuchtet. Er sah Brüder dahinter wie Schemen umherwandern. Der Himmel war bereits von Sternen durchzogen und ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass es nach zehn Uhr war. Über drei Stunden waren sie dort am Teich gesessen.
    Kopfschüttelnd kramte er sein Mobiltelefon aus der Tasche. Eigentlich hasste er es und hätte es am liebsten, wie alle anderen Brüder, in den Mülleimer geworfen, aber das Amt des Abtes brachte in der heutigen Zeit auch weltliche Dinge mit sich. Ein Handy gehört unweigerlich dazu.
    Mit trauriger Miene hielt er inne, starrte auf das noch schwarze Display. Er wusste, dass ihm die bevorstehende Aufgabe einen Stich ins Herz zufügen würde, doch es war unausweichlich. Oft mussten auch schmerzliche Entscheidungen im Leben getroffen werden. Diese gehörte wahrlich dazu.
    Das Display flammte leuchtend auf. Bevor er es sich anders überlegen konnte, tippte er hastig eine lange Nummer ein, die er erst am Nachmittag in Erfahrung gebracht hatte. Er spürte, wie er am liebsten wieder auflegen wollte, doch es gab kein Zurück. Er stand am Rand des düsteren Haines, suchte mit der freien Hand halt an einem Baum und wartete, dass der Angerufene abheben würde.
    Seine Finger zitterten dabei unkontrolliert.
    ***
    Eine wuschelige Angorakatze huschte über den purpurroten Teppich auf ihn zu, gefolgt von einem weiteren weißen Fellknäul. Noch bevor er lachend ausweichen konnte, schmiegten sich die beiden Mietzen eng an seine Beine, schnurrten zufrieden und rieben ihre buschigen Schwänze an seiner schwarzen Stoffhose. Alexander Kowalski schüttelte lachend den Kopf, als er sich in die Hocke gleiten ließ.
    »Na ihr zwei Racker! Schon wieder am herumräubern.«
    Die größere Katze schnurrte zufrieden als Antwort, die andere ließ sich spielerisch auf den Rücken fallen. Alexander griff zielsicher nach den flauschigen Tieren und schnappte sich mit jeder Hand eine. Ohne auf das protestierende Miauen der beiden zu achten, trug er sie zum angrenzenden Zimmer und setzte sie dort auf den Boden.
    »Nach dem Abendessen lass ich euch wieder raus«, sagte er. »Aber solange bleibt ihr schön hier. Sonst darf ich euch zwischen den Tellern wieder vom Tisch angeln. Sergei hasst das. Er will keine Haare in der Suppe.«
    Die Tiere antworteten nicht. Sie trotteten nur wissend tiefer in den innenliegenden Raum hinein. Alexander schloss die Holztür sorgfältig hinter sich, damit die Katzen nicht wieder entkamen, und setzte seinen Weg durch die Villa seines Onkels fort. Seine Schritte wurden von den schweren Stoffteppichen aufgesaugt. Es war, als würde man wie ein Gespenst durch die Gänge wandeln. Alexander liebte es. Seit er bei seinem Onkel lebte, war er immer lautlos durch die Flure gestreift. Als er noch ein Jugendlicher gewesen war, hatte er bei seinen nächtlichen Streifzügen die exquisiten Huren mit ihren Netzstrümpfen und pompösen Dekolletees beobachtet, die zu Sergei ein und ausgingen. Später hatte er dann seine eigenen Bettgefährtinnen unauffällig in sein Zimmer geschleust, bis Sergei eines Nachts ihn und seine leichtbekleidete Schönheit lachend am Ausgang abgepasst hatte und ihm mit seiner polternden Stimme mitteilte, dass er die Schlampen einfach mitbringen konnte. Die Heimlichtuerei sei überflüssig. Wie peinlich dieser Moment gewesen war!
    Alexander erreichte das Ende des Flures und betrat durch eine mit bunten Bleigläsern verzierte Tür den weitläufigen Speisesaal. In der Mitte stand ein ausufernder Esstisch aus polierter Eiche, an dem mindestens sechzehn Mann Platz finden konnten. In einem hochlehnigen Stuhl am Ende der Tafel, am Bürgermeisterplatz, saß sein Onkel Sergei, dessen polterndes Lachen durch das Zimmer donnerte.
    Sergei Kowalski, auch genannt ›der Bär‹, trug seinen Spitznamen mit Recht. Er war genau zwei Meter und einen Zentimeter groß und fast genauso breit. Mit den Muskeln konnte er es locker mit einem der Klitschko-Brüder aufnehmen, nur war Sergei nicht ganz so schlank. Ein weißes, maßgeschneidertes Hemd spannte sich um seine ausgeprägten Schultern und gab seine behaarte, breite Heldenbrust frei. Zwischen den üppigen, dunklen, krausen Haaren glitzerte eine fingerdicke Goldkette im Licht des offenen Kaminfeuers und der überall aufgehängten Weihnachtsbeleuchtung.
    »Alex! Endlich bist du da«, begrüßte ihn Sergei erfreut. »Ich dachte schon, wir müssen ohne dich mit dem

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