Blut und Harz
verstummen abrupt. Sergei brüllt wie ein tollwütiger Bär. Er wettert, er flucht, er schreit. Grimmig, angriffslustig. Aber er lebt! Gott sei gesegnet! Weitere Holz-und Glassplitter regnen durch die Luft. Der beißende Geruch von Feuer mischt sich dazu. Etwas brennt. Dichter Rauch breitet sich am Rande seiner Wahrnehmung aus. Lub-dub-dub-dub-dub-dub-dub. Alexander dreht sich Richtung Sergei um. Oliwia ist sowieso tot, daran kann er nichts mehr ändern. Sie ist tot! Sergei liegt nicht neben ihm. Er sieht stattdessen Zuzanna ebenfalls am Boden liegen. Zumindest erkennt er ihr Gesicht, ihr Gesicht ohne Stirn. Zuzanna, die Frau ohne Brüste. Zuzanna, die Frau mit dem besten Fickarsch der Welt. Zuzanna, die Frau ohne Stirn und Schädelplatte. Nur blutiger Brei und Gehirn. Ein blutiges Grinsen auf ihrem Gesicht. Dunkelrote Lippen. Alexander keucht, und wieder Lub-dub-dub-dub-dub-dub-dub. Er robbt über den Boden an der toten Lebensgefährtin seines Onkels vorbei zu Sergei selbst, den er durch den Qualm dahinter an der Wand lehnen sieht. Er spürt warmes Blut und faserigen Stoff an seinen Fingern. Grobe Brocken dazwischen. Scherben, vielleicht Gehirn, Holzsplitter. Es ist schmierig, er gleitet hin und her. Er schiebt ein zerbrochenes Weinglas aus dem Weg, dazu eine umgekippte silberne Soßenschüssel. Scherben schneiden in seine Hände und seine Knie. Dann erreicht er seinen Onkel. Mittlerweile schreit niemand mehr. Es herrscht frostige Stille, unterbrochen vom rasselnden Atem Sergeis und dem Knacken eines Feuers. Es flackert stärker. Der Schein ist orange und hell. Es riecht nach Qualm und schwelendem Plastik. Sergei stöhnt auf. Seine sonst warmherzigen Augen sind eisig, sein weißes Hemd über und über blutverschmiert. Alexander lacht schrill, als er seinen Onkel an der Schulter packt. Jeden Augenblick erwartet er, dass alle aufstehen, sich das Kunstblut aus den Augen wischen und ihre Masken abnehmen. Wahnsinnige Vorführung. Oskarverdächtig. Beste Szene. Aber niemand steht auf. Niemand lacht. Niemand rührt sich. Alle bleiben leblos liegen. Nur der eisige Wind faucht in das Esszimmer, Schneeflocken wehen herein und schmelzen bevor sie den Boden erreichen. Sergei streift sich stöhnend den goldenen Ring vom Finger und drückt ihn ihm in die Hand. Seine Hände sind schlüpfrig von Blut. Sie zittern. Er sagt brüchig Nimm-und-verschwinde-Alex!-Sie-sollen-dich-nicht-kriegen. Sergei hustet. Rot und schaumig. Er keucht weiter Im-Ring-ist-eine-Gravur. Erneutes Husten. Schweizer-Nummernkonto. Blut, Blut, Blut. Der-Pin-ist-dein-Geburtsdatum. Alexander lauscht den Worten ungläubig. Er starrt ihn mit großen Augen an. Was-redest-du-da? fragt er den gefallenen Mann mit drei dunkelroten Löchern in der Brust. Ein müdes Lächeln des Bären. Ich-weiß!-viel-zu-einfach-aber-nun-geh!-Rette-deine-Haut-und-räche-uns-alle! Die Augen des Bären brechen, sein Haupt sackt auf seine breite Brust, die kräftigen Pranken sinken zu Boden in schmierige Bratensoße. Blut tropft zäh auf die noch weißen Stellen des Hemdes. Alexander kreischt. Wut, Hass, Unglaube, Raserei. Blanker Wahnsinn. Er schüttelt Sergei, doch er hat einen leblosen Körper in Händen. Eine schwere Rauchschwade hüllt ihn ein. Reizt ihn. Er muss husten. Hitze in seinem Nacken. Eine Flamme züngelt an ihm vorbei. Heiße Finger. Schmerzen. Er zuckt instinktiv zur Seite. Glühende Hände grapschen nach seinen Wangen, nach seinem Gesicht. Er sieht zurück, das Zimmer steht in Flammen. Überall Leichen, Blut, zerstörte Möbel. Gelbe Glut und Flammen. Lub-dub-dub-dub-dub-dub-dub. Erneut das Geräusch einer automatischen Maschinenpistole. Lub-ring-dub-ring-dub-
Alexander erwachte aus seiner alten Erinnerung, wie er es immer tat. Kein Schreien, kein Keuchen, kein Angstschweiß, sondern nur der brennende Geschmack nach würzigem Rinderbraten mit Kapern auf der Zunge, dazu der Duft verbrannten Plastiks, der ihn wie immer würgen ließ.
Zum Glück hatte er an diesem Abend nur eine leichte, vegetarische Brotzeit gegessen, ansonsten hätte er seinen halbverdauten Mageninhalt mit Sicherheit auf der Bettdecke verteilt. Was ihn im ersten Moment verblüffte, war der Umstand, dass er so früh aus dem Traum erwacht war. Normalerweise gingen die fast fotorealen Erinnerungen weiter.
Sonst erlebte er seine wahnwitzige Flucht, die nicht durch die naheliegenden, gesplitterten Fenster führte, sondern durch die lodernden Flammen und das lichterloh brennende Haus. Er wollte den Mördern
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