Blut und Kupfer
zu versagen, wie Ihr seht. Meine Schwägerin verachtet mich genau wie mein Bruder, und mein Oheim …« Erneut kämpfte sie gegen aufsteigende Tränen. »Mein Oheim wirft mir nur Brocken seines Wissens hin, obwohl er mir vertrauen kann wie sonst wohl niemandem aus unserer verfluchten Familie!«
»Vielleicht will er Euch nur schützen.«
»Ach ja?« Sie deutete anklagend auf ihr blutverschmiertes Kleid, holte tief Luft und sagte: »Hieran wird seine verdammte Tafel keine Schuld haben. Ich glaube viel eher, dass sich der Schwaigbauer Einhard an mir rächen wollte.« Sie fasste die Ereignisse kurz für Ruben zusammen, der nachdenklich zuhörte.
»Möglich wäre das. Belassen wir es erst einmal dabei. Aber nennt sie nicht die verdammte Tafel. Ich bin genau wie Euer Oheim davon überzeugt, dass sie, eine der anderen oder alle vier zusammen ein bedeutendes Geheimnis verbergen. Es steckt etwas in diesen Tafeln, das jemanden zu kaltblütigem Mord und Raub veranlasst. Sallovinus hat deswegen sein Leben lassen müssen. Und er war meine Familie«, fügte Ruben kaum hörbar hinzu.
»Ich wollte nicht rüde klingen. Bitte verzeiht.«
Anstelle einer Antwort ergriff er ihre Hand und zog sie in seine Arme.
»Ich bin voller Blut …« Ihr Protest erstickte in einem zärtlichen Kuss, der so tröstlich war, dass ihr erneut die Tränen kamen und sie das Gesicht in seinem Hemd vergrub. »Tut das nicht«, flüsterte sie und machte sich entschlossen von ihm los. »Es ist auch so schwer genug.«
Eine Welt widersprüchlichster Gefühle lag in seinem Blick, doch er nickte nur langsam, strich ihr die losen Locken aus der Stirn und sagte mit rauer Stimme: »Euer Oheim wird sich fragen, wo wir bleiben.«
Schweigend bewältigten sie die restliche Wegstrecke zum Gut, die ihr dieses Mal dreifach lang erschien.
Im Gutshaus ging Ruben Sandracce direkt hinauf in den Turm, während Marie sich reinigte und mit Els’ Hilfe umkleidete. Mit ihrer Reisetruhe waren drei gute Kleider und ein Teil ihres Schmucks, darunter eine Kette ihrer Mutter, verloren gegangen. »Der Teufel hole den Körber, zur Hölle mit dem Winkeladvokaten, ewige Verdammnis über Einhard und …«, murmelte Marie, während sie sich kaltes Wasser gegen die geschwollenen Augen spritzte.
»Bitte flucht nicht so fürchterlich, Herrin. Das zieht neues Unglück nach sich«, sprach Els im Flüsterton und bekreuzigte sich.
Marie trocknete ihr Gesicht und seufzte. »Jetzt müssen wir ganz allein auf den Herrn Remigius achtgeben.« Verzweifelt hob sie den Blick zur Decke, es würde lange dauern, bis der Schmerz über Aras’ gewaltsamen Tod nachließ. Sie schluckte. »Gib das Kleid gleich in die Wäsche. Und wenn das erledigt ist, komm wieder hinauf in den Turm.«
»Ja, Herrin.« Hastig wickelte Els das blutige Kleidungsstück auf und verließ Maries ehemaliges Schlafgemach.
Im Gang des Wohntrakts erblickte Marie Ursel, die sie mit einem Ausdruck versteckter Häme betrachtete.
»Ich habe gesehen, wie man Euren Hund herbrachte …«, begann die Kammerfrau.
»Du vergisst, wo dein Platz ist, Ursel. Ich habe dich nicht angesprochen«, wies sie die Frau zurecht, die daraufhin ihren Mund zu einem schmalen Strich zusammenkniff und den Blick senkte.
Hätte Eugenia diese widerwärtige Person nicht mitnehmen können auf ihre Wallfahrt?, dachte Marie und beschleunigte ihre Schritte. Vielleicht hätte ein Marienwunder bei ihr tatsächlich helfen können. Den Kopf schüttelnd angesichts dieser abstrusen Überlegungen, öffnete Marie wenig später die Tür zum Turm und gesellte sich zu Remigius und Ruben, die in ein angeregtes Gespräch vertieft im Laboratorium saßen. Die Scagliola-Tafel lag offen auf dem Tisch.
»Gronhelg hat sie mir gezeigt. Er tat nicht geheimnisvoll mit seiner Tafel, ganz im Gegenteil, er schien nicht zu wissen, dass sie Teil eines sagenhaften Quartetts ist.« Ruben stand auf und schob Marie einen Stuhl an den Tisch. Er hatte ein frisches Hemd angezogen, das über der Brust lose gebunden war.
Remigius saß in seinem bunten Mantel in einem Armlehnstuhl und wirkte erholt und aufgeräumt. Els hatte ihm Haare und Bart gestutzt, und seine saubere Kleidung sowie das frische Bettzeug hatten dem Raum die unangenehme Geruchsnote genommen. Der Eimer mit Bellas Überresten war verschwunden, nur eine grüne Feder lag auf einem Bücherstapel. Bevor sie sich setzte, ging Marie zu ihrem Oheim und küsste ihn auf die Stirn.
»Gut seht Ihr aus.«
Der alte Mann lächelte und tätschelte
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