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Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Wilken
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klappte das Buch zu und legte es zur Seite.
    »Das Bild auf der Tafel ist ähnlich, der Künstler hat ganz sicher Ripleys Werk gekannt, hat aber den weiblichen Körper aus Pietät oder Angst vor Zensur verdeckt dargestellt«, sagte Ruben.
    »Ich bin enttäuscht, auch wenn ich nicht sagen kann, warum, aber irgendetwas fehlt, stimmt nicht … Ah, was nur, was?« Remigius tippte auf den verblichenen Lederband. »Hier spielt jemand auf eine allzu offensichtliche Art mit den Grundpfeilern der Alchemie.«
    Marie räusperte sich. »Ihr kanntet ja die Kupferstiche. Was habt Ihr erwartet?«
    »Ich weiß es nicht. Das ist es ja. Ein entscheidendes Detail, das einen Hinweis gibt auf den Zusammenhang der Tafeln. Ein Rätsel, Buchstaben, Zeichen, eine Formel. Irgendetwas! Jetzt haben wir den Zodiakus nach Ripley. In seinem Buch vergleicht er das neunmonatige Heranwachsen des Kindes im Mutterleib mit dem Wachstum des Lapis, und das abgehende Fruchtwasser ist nichts anderes als ein Symbol für die lunare Tinktur, die der solaren Rötung vorausgeht. Mond und Sonne, weiß und rot, Leben erschafft Leben, und ergo können wir aus Metall Gold machen. Ach, papperlapapp …« Mit einer geringschätzigen Geste ließ Remigius sich in seinen Stuhl fallen.
    »Also nicht der Stein der Weisen?« Ruben grinste und nahm sich einen Becher Wein.
    »Phh!«, machte der alte Mann und musterte Ruben unter hängenden Lidern. »Erzählt mir von den Kästlein und den anderen hübschen Dingen, die Ihr als edlen Trödel verscherbelt!«
    Unangenehm berührt räusperte Ruben sich und sah kurz zu Marie, die keine Miene verzog.
    »Wir sind unter uns. Nur zu, ich mag Euch. Wir sind uns ähnlicher, als Ihr meint!«, ermunterte Remigius den Böhmen.

XX
    • •
    … alles nur Menschenwerk

    Der Tephritis ist aschgrau, hat aber die Gestalt des Mondes, wie er kurz nach dem Neumonde ist.
    Caius Plinius Secundus, »Naturgeschichte«,
    XXXVII. Buch, »Von den Edelsteinen«

    Ü ber den Hügeln senkte sich die Abendsonne und schickte ihre letzten glutroten Strahlen über den Wald herunter ins Tal. Marie wusste ihren Oheim in der anregenden Gesellschaft des Böhmen. Die Männer wälzten Bücher, machten Zeichnungen und stellten die absurdesten Theorien über den Sinn der alchemistischen Scagliola-Bilder auf. Als Vertreter derselben Zunft hatten die beiden sich überdies viel zu erzählen, und Marie war froh, ihren Oheim in besserer körperlicher Verfassung und mit neu erwachtem Lebensgeist zu sehen. Remigius war geradezu aufgetaut in Rubens Gegenwart, und sie fragte sich, ob sie das den Neuigkeiten des Böhmen zuzuschreiben hatte oder der Tatsache, dass ihr Oheim die ihm geschenkte Lebenszeit zur Lösung des Geheimnisses um die Tafeln nutzen wollte. Remigius hatte spitzfindig einen griechischen Philosophen zitiert: »Der Tod geht mich eigentlich nichts an, denn wenn er ist, bin ich nicht mehr, und solange ich bin, ist er nicht.«
    In sich hineinlächelnd überquerte Marie den Hof. Nach den vergangenen Schrecknissen war sie für jeden noch so kurzen Moment der Zuversicht dankbar. Mehr zu hoffen war vermessen. Aber wer konnte seinem Herzen befehlen, nicht zu lieben? Seufzend machte sie einen Bogen um das stinkende Rinnsal, das vom Misthaufen in Richtung der Sickergrube floss. Das Gesinde bereitete sich auf den Feierabend vor, räumte Werkzeuge zusammen und gab den Tieren zum letzten Mal an diesem Tag Futter. Auf den Gesichtern der Knechte und Mägde hatte sich die Müdigkeit eines langen Arbeitstages eingegraben. Wusste Albrecht, wie privilegiert seine Stellung war? Was er für Not hielt, wäre jedem Tagelöhner, der von der Hand in den Mund lebte, keine Silbe wert. Hinter dem Pferdestall wandte sie sich nach rechts, wo sich eine kleine, baumbestandene Wiese vor dem Küchengarten an der Hofmauer entlangzog. Manchmal weideten dort trächtige Stuten oder kranke Tiere, die unter Aufsicht bleiben mussten.
    »Veit!«, rief Marie dem heilkundigen Pferdeknecht zu, der im Schatten eines Fliederbusches auf eine Schaufel gelehnt wartete.
    Als sie näher kam, sah sie die frisch angehäufte Erde im hohen Gras unter dem Flieder, dessen zartviolette Blütenrispen einen süßen Duft verströmten. »Ein schöner Platz, Veit«, flüsterte Marie, brach einen Blütenzweig vom Baum und legte ihn auf Aras’ Grab.
    Der schweigsame Mann nahm seine Schaufel und überließ sie ihrer Trauer. Marie kniete sich ins Gras und sehnte sich nach dem vertrauten Geräusch von Krallen, die über Dielen

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