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Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Wilken
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Schwester und möchte zu ihm!«
    »Das Duellopfer? Hier entlang.« Der Ordensbruder führte sie durch einen Rundbogen in ein Treppenhaus, dessen steinerne Stufen bereits ausgetreten waren. In einer Ecke standen Eimer und Besen, an den Wänden hingen Lampen, die ein junger Mann in einfacher Kleidung zu entzünden begann. Unten ertönte die Türglocke, und der Ordensbruder seufzte. »Ach, Jan, bring doch die Dame hier hinauf zu dem Neuzugang. Sie ist seine Schwester.«
    Der Bursche, dessen kräftige Statur und breites rotwangiges Gesicht ihn als Landmenschen auswiesen, nickte, führte seinen Zündspan jedoch weiter in aller Ruhe an die Lampendochte.
    »Du lieber Himmel, sag mir doch einfach, wo mein Bruder liegt!«, verlangte Marie ungeduldig zu wissen.
    Als der Bursche ihr das Gesicht zuwandte, wusste sie nicht, ob er sie anschaute oder nicht, denn seine Augen schielten auf groteske Weise. »Mit einem Span mache ich Licht für das ganze Treppenhaus. Noch zwei Lampen.« Mit einer präzisen Langsamkeit, die anzeigte, dass der Schielende jede Bewegung sorgfältig eingeübt hatte, versah er seine Aufgaben, was Marie in ihrem Zustand höchster Sorge nicht länger aushielt.
    Sie lief an ihm vorbei in den ersten Stock und bog blindlings in den Gang zu ihrer Linken. Kaum hatte sie die halboffene Gittertür gesehen, da ertönte ein ohrenbetäubendes Geheule, Stimmen, von denen sie nicht glauben mochte, dass sie menschlich waren, grölten und kreischten auf grauenvolle Art. Hatte sich die Hölle aufgetan? Marie blieb wie angewurzelt stehen und blickte in dumpfe Augen, Fratzen, die nicht wussten, warum sie sich auf derartig widernatürliche Weise verzerrten, und sah nackte Körper, die sich obszön wanden, ungeachtet ihrer grässlichen Entstellungen.
    »Nein, nein! Was tut Ihr denn? Nein! Kommt, kommt!« Jan zerrte die schockierte Marie fort aus dem Trakt der unheilbar Geisteskranken.
    Die Abteilung für Schwerkranke und Verwundete war vergleichsweise friedvoll, auch wenn der Anblick von frisch Operierten, die zum Teil noch auf blutgetränkten Tüchern lagen, Marie an ihre Grenzen brachte. Ordensbrüder gingen in einem langgestreckten Saal zwischen einem Dutzend Betten hin und her, und zwei Burschen in Jans Alter mühten sich damit ab, Blut und Exkremente vom Boden aufzuwischen und frisches Leinenzeug zu bringen. Ein großer, sehniger Mann, dessen weißes Hemd unter dem schwarzen Wams mit Blutspritzern übersät war, wusch sich die Hände in einer Wasserschüssel.
    »Das ist Doktor Zacharias. Der schneidet die Leute auf«, erklärte Jan mit bedeutungsvoller Miene.
    Zacharias trocknete sich die Hände und sah sie an. Tiefe Furchen zogen sich über seine Stirn, und seine Lippen waren zu einem harten, geraden Strich gepresst, doch seine Augen blickten warm, als er erfuhr, wer Marie war. »Er hat viel Blut verloren. Der Stich ging seitlich an den Nieren vorbei.«
    An der Seite des Arztes trat Marie an das Lager ihres Bruders und schluchzte auf. Georg lag mit geschlossenen Augen auf dem Rücken. Seine Gesichtshaut wirkte wächsern. Die blonden Locken klebten auf seiner Stirn. Quer über seine Wange verlief eine mit fünf Stichen genähte Wunde, die im Anschwellen begriffen war. Auch auf Georgs nacktem Oberkörper waren blaue Flecken und ein Schnitt zu sehen, der vom Hals über das Schlüsselbein verlief. Sein Leib war bandagiert, doch an der Seite sickerte Blut durch.
    »Es ist sein Glück gewesen, dass er zu mir gebracht wurde«, sagte Doktor Zacharias. »Ich bin der medicus ordinarius und stehe dem chirurgischen Apparat des Spitals vor, weil ich große Erfahrung auf diesem Gebiet habe.«
    Vorsichtig berührte Marie Georgs Stirn. »Wird er es überstehen?«
    »Anselm! Mea culpa! «, phantasierte Georg im Fieber.
    »Er ist jung und kräftig. Wenn kein Wundbrand einsetzt, bleiben ihm nur ein paar kleidsame Narben«, beruhigte der Arzt sie.
    »Wer hat ihn hergebracht?«, fragte Marie und ließ den Blick über die übrigen Kranken schweifen, ohne Tulechow zu entdecken.
    Die Saaltür ging auf, und Leander kam herein. Er lächelte Marie zaghaft zu. »Ist dieser Doktor nicht eine Zierde seines Standes? Er hat den Herrn Georg zusammengenäht, wie man es mit einem Wams täte. So kunstvoll und sauber sieht das aus! Das war überaus anständig von Tulechow, dass er seinen Gegner versorgen lässt.«
    Sie hätte sich denken können, dass es Tulechow war, der Georg ins Herzogspital gebracht hatte. »Er hat ihn ja auch übel

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