Blut und Kupfer
einflößend.
»Für den Alchemisten ist das dritte Zeitalter gleichzusetzen mit der Morgenröte, die am Horizont aufsteigt. Es wird als spirituell aufgefasst und soll die Zeit des Jauchzens und der Freiheit bringen. Ignatius hat mir das anhand der drei ineinander verschlungenen Kreisbahnen erklärt. Er war richtiggehend froh, mit jemandem über die Bedeutung des Bildes sprechen zu können, denn er sagte, dass er Angst vor den anderen Patres hatte. Die hätten ihn wegen solcher Äußerungen gleich beim Assistenten des Generaloberen angezeigt. Sie dulden nicht, wenn jemand sich mit der allegorischen Schriftauslegung des Fiore befasst. Nur die buchstabentreue historische Interpretation der Heiligen Schrift wird akzeptiert. Er war ganz vernarrt in die Tafel und sagte immer wieder, dass er so etwas noch nie gesehen habe. Seine strahlend grünen Augen sehe ich noch vor mir, als er über das Scagliola-Bild strich und sagte, jetzt glaube er, dass das glückliche Zeitalter kommen und alle Freuden des himmlischen Jerusalem bringen werde.«
Ruben starrte wieder aus dem Fenster. »Am nächsten Morgen wollte ich nach dem Frühstück mit Ignatius sprechen, aber da hatten seine Augen bereits ihren Glanz verloren. Das Letzte, was dieser gute Mann auf Erden sah, war sein Mörder.«
»Hat man den armen Pater erdrosselt?«, flüsterte Marie.
»Genau wie Ambrosius und den Apotheker. Deshalb bin ich sofort zu Eurem Oheim geritten.« Er trat zu ihr und ergriff ihre Schultern, doch Jan kam mit einem Tablett um die Ecke, auf dem neben einer Lampe eine Schüssel und ein Krug standen. Sofort nahm Ruben Abstand.
»Ist später für den Doktor«, sagte Jan wichtig und verschwand im Krankensaal.
»Der Mörder muss einen Helfer gehabt haben, in Riem genauso wie in Wasserburg und bei Tulechow in München. Die Tafel ist zu unhandlich, um von einem Reiter fortgebracht zu werden«, bemerkte Ruben leise.
»Oder der Mörder hat sie in der Nähe versteckt, um sie später zu holen. Ein kräftiger Mann kann sie allein tragen«, überlegte Marie.
»Euer Oheim ist ein außergewöhnlicher Mensch, und als ich jetzt bei ihm war, schien mir auch das Verhältnis zu Eurem Bruder Albrecht besser. Zumindest hat er die Dienerin mit der Brandnarbe …«
»Els«, half Marie aus.
»Er hat Els erlaubt, die besten Speisen für Remigius heraufzubringen, und als ich bei meiner Abreise auf dem Hof ein Wort mit Albrecht wechselte und auf die mögliche Gefahr hinwies, in der Remigius schwebt, wollte er sogar eine Wache mehr am Tor postieren.«
»Glaubt nur nicht, Albrecht wäre von Mildtätigkeit überkommen worden. Remigius hat die Tafel an den Herzog verkauft und die eintausend Gulden Albrecht zur Tilgung seiner Schulden versprochen.« Sie berichtete von der Audienz mit Maximilian und dessen Vater, und Ruben sog scharf die Luft ein.
»Der alte Wilhelm ist eine Figur in dieser seltsamen Jagd um das Geheimnis der Tafeln, die wir beachten sollten. Obwohl für mein Gefühl alle Spuren nach Prag führen …«, sinnierte Ruben.
»Ich werde noch einmal mit Gisla sprechen. Sie verschweigt etwas.« Ihre Röcke raschelten, als Marie zu Ruben trat und im schwach erhellten Gang über seine Wange strich.
Er hielt sie fest und presste seine Lippen in ihre Handinnenfläche. »Kommt mit …«
Er stockte und ließ sie fahren, als hätte er sich die Finger verbrannt.
»Es hat länger gedauert, Frau von Langenau, aber nun …« Schwester Iris’ weiße Tracht leuchtete im Dunkel des Ganges.
»Schwester Iris!«, entfuhr es Marie nervös.
»Ich wollte Euch zum Kloster bringen«, sagte Iris mit fragendem Blick auf Ruben.
»Ich kann das übernehmen«, erbot sich der Böhme. »Sandracce. Ich bin ein Freund der Familie Langenau«, stellte er sich vor.
Iris musterte den gutaussehenden Fremden, dann glitt ihr Blick zu Marie. Lächelnd sagte die Ordensschwester: »Unter anderen Umständen wäre das eine begrüßenswerte Lösung, doch ich habe Order von der Mutter Oberin und … Nun, Ihr wisst es selbst, Frau von Langenau, bitte! Es tut mir leid. Wenn Ihr Euch von Eurem Bruder verabschieden wollt. Ich warte unten in der Halle auf Euch.«
Marie nickte hölzern und ging zum Krankenzimmer, dicht gefolgt von Ruben.
»Was hat das alles zu bedeuten? Steht Ihr unter Arrest? Ich mache mir große Sorgen um Euch!« Er stellte sich zwischen sie und die Tür.
»Geheimrat Zeiner hat mich aus Kraiberg herbringen lassen und mich eine Nacht in den Falkenturm gesperrt, was angeblich ein Versehen
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