Blut und Kupfer
und half ihr, sich auf den steinernen Vorsprung zu setzen.
»Marie.« Besorgnis und Zärtlichkeit klangen in den beiden Silben ihres Namens mit, und ihre Anspannung wich.
»Also, der Patient liegt hier!«, sagte Jan vorwurfsvoll und stellte sich breitbeinig neben der Tür zum Krankensaal auf.
»Danke, Jan. Ich kenne diesen Herrn. Er ist ein werter Freund der Familie.«
Der Bursche starrte sie mit seinen fehlstehenden Augen an und stapfte schließlich missmutig und Unverständliches murmelnd davon.
»Habe ich ihn beleidigt?«, fragte Ruben irritiert und strich ihr über Stirn und Haare.
Sie widerstand dem Impuls, sich an ihn zu lehnen, denn wenn man in der Residenz bereits von ihrer Verbindung mit Tulechow wusste, musste sie auf der Hut sein. »Unwichtig. Was bringt Euch her? Was habt Ihr in der Villa Riem herausgefunden?«
»Euer Bruder?«, wollte Ruben zuerst wissen.
Rasch fasste sie zusammen, wie es zu dem Duell gekommen war, ließ ihren Anteil an Georgs glimpflichem Davonkommen jedoch aus und wartete auf Rubens Neuigkeiten. Auf dem Ärmel seines staubigen Hemds war ein rötlicher Fleck zu sehen. »Seid Ihr verletzt?«
Ruben kratzte sich die dunklen Stoppeln. »Ein Streifschuss. Irgendjemand wollte nicht, dass ich München lebend erreiche, aber er hätte mehr in den Handlanger seines blutigen Vorhabens investieren sollen. Der Kerl konnte nicht schießen und wird auch keine Gelegenheit mehr haben, es zu lernen.« Er grinste, wurde jedoch sofort ernst. »Marie, die Tafel war in der Villa Riem, und ich habe mit Pater Ignatius, der die Kunstschätze betreut, gesprochen.«
Ruben fuhr sich durch die ungeordneten Haare und atmete tief ein. »Ich fühle mich wie der Vorbote des Bösen.« Er sah den Becher. »Eurer?«
Als sie nickte, leerte er den Tee in einem Zug. »Am späten Nachmittag erreichte ich die Villa, und man ließ mich mit Pater Ignatius sprechen. Der Mann war überaus freundlich, ohne Arg, und kannte die Schätze der Villa wie kein anderer. Bevor er die Gelübde ablegte, war er bei verschiedenen Gelehrten und einem Goldschmied tätig.«
Erschöpft stützte sich Ruben am Fenstersims ab und starrte in die Dunkelheit hinaus, die sich über die Stadt gesenkt hatte. Eine Krankenpflegerin lief an ihnen vorbei, und aus dem Trakt der Geisteskranken ertönten dumpfe Schreie.
»Die Villa ist kein eigentliches Ordenshaus, sondern ein Ort der Erholung für die Patres. Es geht dort ungezwungener zu als in einem Kolleg. Stellt Euch ein einstöckiges Gebäude mit Schlaf- und Gemeinschaftsräumen, einer Kapelle, Küche, Keller und Speisesaal vor. Es gibt eine Bibliothek und eine Kammer, in der wertvolle Dokumente, Schriften, die kostbaren liturgischen Geräte, Messgewänder und Altarleuchten aufbewahrt werden. Pater Ignatius war ganz erstaunt, dass ich nach der Tafel fragte, die erst seit einigen Wochen in der Villa war. Sie stammte aus der Erbmasse eines kürzlich verstorbenen Gönners, der Besitztümer in Riem, Ingolstadt und Böhmen hatte. Der Mann entstammte den Barnsteins, Genaueres wusste Ignatius nicht.«
Eine Öllampe erhellte den Gang schemenhaft. Die Türen wirkten wie schwarze Schlünde, und Rubens Gesicht sah im Spiel der Schatten unendlich müde aus.
»Als er den Namen erwähnte, wurden Bilder lebendig, die ich mit meinem Vater verbinde und mit dem schändlichen Verrat, der an ihm begangen wurde. Noch ist alles vage, und ich kann meinen Finger nicht auf das entscheidende Detail legen, das mir helfen kann, den Mann zu finden, der unsere Familie ausgelöscht hat, aber Barnstein hat etwas damit zu tun.« Er ballte die Faust und ließ sie sinken, während er fortfuhr. »Aufgrund seiner Erfahrungen kannte Ignatius sich mit Edelsteinen und Kunsthandwerk aus und stufte die Tafel sofort als eine Kostbarkeit ein. Die Pietra-Dura-Rahmung entspricht der in der Tafel Eures Oheims, den ich übrigens aufgesucht habe. Es geht ihm gut«, kam er Maries Frage zuvor. »Dazu komme ich noch. Das Scagliola-Bild zeigte die drei Weltzeitalter nach Joachim von Fiore. Das ist insofern interessant, als Fiore das dritte Zeitalter prophezeit hat, nämlich das des Heiligen Geistes.«
Von Remigius hatte Marie gelernt, dass das sogenannte erste Zeitalter, das alttestamentarische, dem Vater geweiht war, geprägt von Gesetz und Gottesfurcht, gefolgt vom zweiten Zeitalter des Sohnes, in dem der kirchliche Bund und der Buchstabenglaube entscheidend waren. Der Heilige Geist war unfassbar, unerklärlich und damit Furcht
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