Blut und Kupfer
glauben mochte, die Dose sei von Mentor, einem berühmten antiken Künstler, hergestellt, doch sei sie ein Werk des Herzogs von Bayern. Marie verstand dies als Hinweis darauf, dass Maximilian sich als ein übermäßig von sich eingenommener Mann präsentierte, der nicht einmal wahren Künstlern ihren wohlverdienten alleinigen Ruhm gönnte.
Die Glocken hatten schon vor einiger Zeit zur Vesper geläutet. Gott helfe ihrem armen Bruder! Unbewusst tastete sie die Perlen ihres Rosenkranzes ab und bat alle Schutzheiligen um Hilfe. Ein Hellebardenträger nickte im Stehen ein, sackte zur Seite und wurde vom klirrenden Geräusch der Waffe, die gegen einen Schild prallte, an seine Pflicht erinnert. Die Wachmannschaft rief ihm hinter vorgehaltener Hand derbe Scherze zu. Stoll tupfte sich die Stirn und wandte sich dem Ausgang zu, als ein bekanntes Gesicht um die Ecke bog.
Der weißblonde Schopf von Wilhelm Fistulator lugte in die Galerie, und die besorgte Miene des Künstlers hellte sich auf, als er Marie erblickte. »Frau von Langenau! Euer Bruder! Er ist verwundet!«
Marie schlug sich die Hand vor den Mund. Er war nicht tot, war ihr einziger Gedanke. Georg lebte! »Wo ist er?«
Secretarius Stoll stützte sich an einer Säule ab und wischte sich den Schweiß vom Hals.
»Im Herzogspital in der Roehrnspeckergasse. Es hat ihn übel erwischt. Leander hat mir die Nachricht gesandt und dass ich Euch holen soll.« Wilhelm Fistulator musste direkt aus der Werkstatt zu ihr geeilt sein, seine Schürze war voller Schmirgelstaub und die Hände mit Gips verschmiert.
»Secretarius, Ihr habt es gehört!«, rief Marie.
»Wir können einen Tragsessel nehmen!«, bot der Stuckateur an.
»Geht nur, ich schicke Euch eine der Nonnen nach«, sagte Stoll, den es nicht zu drängen schien, ein Hospital aufzusuchen. »Herr Fistulator, Ihr bleibt bei der Dame?«
»Ja doch. Kommt jetzt!« Wilhelm ergriff Maries Arm und führte sie über Hintertreppen und Gesindegänge auf kürzestem Weg aus der Residenz hinaus in die Schwabinger Gasse, wo bereits ein Tragsessel auf sie wartete.
»Steigt ein, rasch! Es ist schon bezahlt!«, sagte Wilhelm und half ihr in den schmalen Sessel, der von zwei farbenfroh gewandeten Männern angehoben wurde.
»Ihr kommt nicht mit?«, rief Marie und schob den Vorhang zur Seite.
Die Träger waren bereits in einen schnellen Trab verfallen, und sie sah Wilhelm winkend an der Residenz stehen. »Ich muss in die Werkstatt! Gott schütze Euch!«, rief der hilfsbereite Mann.
Die Abendsonne senkte sich über die Stadt, in der die Läden geschlossen und die Marktstände abgebaut wurden. Der Schrannenplatz gehörte bereits den Kindern und Bettlern, die sich um die kargen Abfälle schlugen. Marie sah kleine verhärmte Gestalten mit einem Kohlblatt oder einem Stück Dörrfisch davonrennen und dachte an die überfütterte Hofgesellschaft. Der Herzog mochte unnahbar, frömmlerisch und politisch ein unentschlossener Taktierer sein, doch sein strenges Durchgreifen in der korrupten Beamtenschaft und beim Schacher um die Hofämter hatte den ausufernden Regierungsapparat in ein straffes Korsett gezwängt, das zu größerer Effektivität und Handlungsfähigkeit geführt hatte. Vor allem die Spitäler kamen auch den Armen zugute.
Das Herzogspital mit der dazugehörigen Kirche Sankt Elisabeth war bereits unter Albrecht V. erbaut worden. Durch das Hackenviertel ging es über den Färbergraben und endlich in die Roehrnspeckergasse, die parallel zur Neuhauser Gasse verlief. Warum hatte man Georg nicht in ein Spital nahe dem Gottesacker, auf dem das Duell stattgefunden hatte, gebracht? Marie verließ den Tragsessel, dankte den Trägern kurz und stand bereits am Tor des Herzogspitals, eines mächtigen, weiß getünchten Baus, um energisch die Türglocke zu betätigen.
Ein Ordensbruder ließ sie in eine kleine Empfangshalle eintreten, an deren Wände sich eine schmale Holzbank schmiegte, auf der Menschen verschiedenster Herkunft mit Körben und Wäschebündeln saßen.
»Zu wem möchtet Ihr?«, fragte der Bruder freundlich. »Die geistig Verwirrten werden zur Bettruhe vorbereitet.«
Im ersten Moment stutzte Marie, dann entsann sie sich der Hauptaufgabe des Spitals, die in der Aufnahme und Pflege Abscheu erregender Kranker und Geisteskranker bestand, die man auf dem Lande ankettete und wegsperrte und für die im engen städtischen Gefüge kein Raum war. »Hier ist ein Verletzter eingeliefert worden. Sein Name ist Georg von Kraiberg. Ich bin seine
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