Blut und Kupfer
übliche Vorgehensweise.
Als sie ins Sonnenlicht hinaustrat, schaute sie die Schwabinger Gasse entlang, doch nur ein Heukarren ratterte über das Pflaster, aus einer Schmiede klang rhythmisches Hämmern, eine Gruppe Jesuitenpatres bewegte sich auf das Stadttor zu, durch das man auch in den Hofgarten gelangte, und eine ganze Horde schwarz gewandeter Hofsekretäre kam aus dem Haupteingang der Residenz. Es ging auf die Mittagszeit zu. Krähengeschmeiß, dachte Marie und kletterte in den wartenden Tragsessel. Was trieb Ruben? Warum sollte sie mit Wilhelm Fistulator sprechen? Sie brannte vor Neugier, und noch mehr sehnte sie sich nach dem Edelsteinschneider aus Prag, der seinen eigenen Rachefeldzug führte. Matt sank sie an die Wand des schmalen Gefährts. Im eingespielten Gleichschritt liefen die Träger durch die belebten Münchner Gassen, denen Marie heute keine Aufmerksamkeit schenkte. Nur als sie den Schrannenplatz überquerten, dachte sie wehmütig an jenen ersten Tag in München, als sie mit Georg, Vroni und Aras unbekümmert zwischen den Ständen spaziert war.
Das kleine Gefährt wurde sanft zu Boden gesetzt. »Wir sind da, Hochwohlgeboren«, sagte einer der Träger und hob den Vorhang zur Seite.
Marie erkannte das dreistöckige Wohnhaus mit dem bunten Fries und stieg mit Hilfe des Trägers, der sie an einem Kothaufen vorbeidirigierte, aus. Sie fand einige Pfennige in ihrem Beutel und gab sie den Trägern, bevor sie sich mit schwerem Herzen dem Eingang zuwandte.
Der finstere Jais holte sie persönlich in der Halle ab. »Die Herrschaften erwarten Euch bereits«, konstatierte er.
»Die Herrschaften?«, fragte Marie und raffte ihre türkisfarbenen Seidenröcke. Da ein Teil ihres Schmucks mit ihren Kleidern und der Reisetruhe gestohlen worden war, trug sie meist das verbliebene Kollier mit Saphiren und Rosenquarzen.
Jais antwortete nicht. Schweigend führte er sie in einen kleinen Salon des Wohntrakts. Auf einem Pietra-Dura-Tisch stand ein Weinglas, das er mit Rotwein aus einer Karaffe füllte. »Wartet hier, bis man Euch ruft.«
»Warum die Eile, wenn ich jetzt doch wieder warten soll …«, murmelte Marie und griff verärgert nach dem Glas. Der Wein war schwer und süß und wärmte ihren nervösen Magen. Nach vier Zügen fühlte sie das Blut in ihre Wangen steigen, genau wie die angestaute Wut auf einen Mann, der die Notlage einer Frau ausnutzte. Genau so war es! Wütend starrte sie auf die Zwischentür, hinter der sie Stimmengeflüster vernahm. Neugierig drückte sie ihr Ohr gegen die mit Intarsien geschmückte Tür.
»… nicht doch, Severin, Ihr müsst Euch schonen!«, kicherte eine Frau.
Es raschelte, und Marie verstand nur Bruchteile von Tulechows Antwort: »… ohne Euch nicht leben! Die Umstände treiben sie mir direkt in die Arme … Genug jetzt. Sie soll hereinkommen!«
Marie taumelte gerade noch rechtzeitig zurück, um nicht mit der aufschwingenden Tür in Tulechows Schlafgemach zu stürzen. Erschüttert über den sich ihr bietenden Anblick ließ sie das Weinglas fallen. »Gräfin von Larding!«
Eine warme Böe blähte die Vorhänge vor dem geöffneten Fensterflügel. Der Raum wurde von einem riesigen Baldachinbett dominiert, auf dem Tulechow mit bandagiertem Oberarm in Hose und Hemd ruhte. Direkt neben dem Bett stand ein Sessel, in den sich Sibylle von Larding, gewandet in ein der neuesten französischen Mode entsprechendes Kleid, dessen Dekolleté die Brustwarzen erahnen ließ, in Wolken aus zarter cremefarbener Spitze und Brokat drapiert hatte. Demonstrativ streichelte sie Tulechows ausgestreckte Hand und sah Marie herablassend an.
»Habt Ihr tatsächlich gedacht, dass ein Mann wie Herr von Tulechow Gefallen an einem langweiligen Provinzei wie Euch finden könnte?« Gräfin von Larding lachte klirrend.
»Liebste Sibylle, wir wollen unseren Gast nicht beleidigen«, sagte Tulechow und winkte Marie, näher zu treten. »Ich hielt es für angebracht, werte Frau von Langenau, unser kleines Übereinkommen en détail zu besprechen, bevor es in Vergessenheit geraten könnte.«
Die unterschwellige Drohung seiner letzten Worte verstehend, wartete Marie wie die Maus vor der Schlange.
»Es hat ihr die Sprache verschlagen! Nein, wie reizend!«, spöttelte die Gräfin.
Im Schatten des Bettes stand Jais und wartete auf Anweisungen seines Herrn. Im lauernden Blick des sehnigen Mannes lag eine Brutalität, die Marie erschreckte. Sie konzentrierte sich wieder auf Tulechow, der blass wirkte. Die Verwundung
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