Blut und Kupfer
verschont.«
Gisla wirkte alarmiert. »Wer und wo?«
»Ein Jesuitenpater in der Villa Riem.«
Langsam stiegen sie die letzten Stufen in den Garten hinab. Die steinerne Bank lag im Halbschatten, und Marie überließ der alten Frau den kühleren Platz. Sie selbst mochte es, wenn die Sonnenstrahlen ihr Gesicht wärmten, und es war ihr gleichgültig, ob ihre Haut sich bräunte, obwohl sich das für eine Dame von Stand nicht schickte.
»Wieso dort? Wo ist das überhaupt? Ich dachte, die vierte Tafel gehört dem Barnstein. Danke, meine Liebe, hier ist es schön kühl, und wir haben den Kreuzgang, durch den die illustre Gesellschaft stolzieren wird, voll im Blick.«
Perplex setzte sich Marie neben die alte Frau, die ihr wie ein Kabinett mit Hunderten kleiner Schubfächer vorkam, von denen jedes ein Geheimnis verbarg. Ob sie all diese Geheimnisse wissen wollte, bezweifelte sie, doch was auch immer ihren Oheim betraf, wollte sie erfahren. Je mehr sie von Gisla hörte, desto besser verstand sie, warum Remigius die Liebe dieser Frau nicht erwidert hatte. Aber wen hatte ihr Oheim geliebt? Nachdenklich ordnete sie die Falten ihrer Röcke, streifte ihre Schuhe ab und genoss das kühle Gras unter den Füßen. »Ihr wusstet, dass die vierte Tafel einem Herrn Barnstein gehört? Warum habt Ihr das verschwiegen?«
»Ihr habt nicht gefragt.«
»Das ist zu einfach und stimmt so nicht. Ihr wisst genau, worum es bei den Tafeln geht«, erwiderte Marie leicht echauffiert.
»Ich habe Remigius die erste Tafel geschenkt, oder habt Ihr das vergessen?«
»Ihr habt sie ihm geschenkt, weil Ihr eine Schuld abtragen wolltet, aber die wichtigen Hinweise, die er zur Lösung des Rätsels brauchte, die habt Ihr verschwiegen. Ich denke, aus Rache, weil er Euch nicht wollte.« Ein schneller Seitenblick auf Gisla bestätigte diese Vermutung, denn die alte Frau verzog für eine Sekunde gehässig den schönen Mund.
»Da liegt Ihr vollkommen falsch, aber was wisst Ihr schon? Ihr seid zu jung und glaubt an das Gute in dieser verderbten Welt.« Die weißen Schleier umspielten sacht das feine Gesicht der ehemaligen Kurtisane, deren Körper die Narben ihres verruchten Lebens trug.
»Bitte, Gisla, ich sorge mich furchtbar um Remigius. Er ist krank, und ich wünsche ihm so sehr, dass er das Geheimnis der Tafeln lüftet und mit diesem Wissen seinen Frieden findet.« Dass ihr Wunsch auf eigennützige Weise mit Rubens Suche nach Sallovinus’ Mörder und dem Verräter an seiner Familie verknüpft war, behielt sie für sich.
»Frieden finden. Ein wahrhaft beseligender Gedanke. Nun, Barnstein ist der Name eines alten böhmischen Geschlechts, das mit Matthäus Barnstein, dem letzten Spross, erloschen ist. Es gibt nicht viel zu ihm zu sagen. Soweit ich weiß, hatte er keine Nachkommen, war ein weitgereister und gelehrter Mann und hat sich hier im Herzogtum Bayern zur Ruhe gesetzt. Es heißt, dass er achtzig Jahre oder mehr zählte. Beeindruckend.« Sie kicherte. »Eines meiner Mädchen hat ihm ihre Dienste erwiesen, und daher weiß ich, dass er die Tafel besaß.«
Maries konsternierter Gesichtsausdruck entlockte Gisla ein heiseres Lachen. »Da hatte er seinen achtzigsten Winter noch nicht erreicht! Trotzdem beeindruckend!«
»Habt Ihr jemals von Magnus Adam gehört?«, fragte Marie und ignorierte die frivole Bemerkung, doch Gislas Aufmerksamkeit wurde von dem Tumult gefesselt, der sich am Beginn des Kreuzgangs erhob.
»Ich habe die Mode immer geliebt. Was trägt die Herzogin? Hoffentlich nicht wieder diese furchtbar tugendhaften schwarzen Ungetüme.« Gisla fingerte unter ihrer Tunika nach einem Augenglas und blinzelte erst mit dem rechten, dann mit dem linken Auge hindurch.
Seufzend tat Marie es der alten Frau gleich, die sich weiteren Fragen verschloss. Den Wachleuten und Lakaien folgten ein Hofsekretär und Hofkanzler Doktor Wagnereck im Gespräch mit Herzog Maximilian und dessen Schwager. Als lose formierte Gruppe promenierten die Hofdamen in gedeckten Farben um die in Schwarz gewandete Herzogin Elisabeth durch den Kreuzgang, und unter der Hofgesellschaft entdeckte Marie Hofkammeradvokat Mändl mit seiner dünkelhaften Gattin, die ihre niedrige Herkunft nicht ablegen konnte, Doktor von Donnersberg, einige Jesuiten, darunter der Generalobere Vitelleschi. Marie stutzte, aber ja, das war Pater Hauchegger! Und da sah sie auch schon Geheimrat Zeiner von hinten auf den Pater einreden. Was die beiden zu tuscheln hatten, hätte sie gern gewusst! Sie hielt den
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