Blut und Kupfer
Almosen von den ein und aus gehenden Beamten zu erbetteln. Der Krüppel stemmte sich nur mit der Kraft seiner Arme die Straße entlang, sein beinloser Körper war mit Lumpen notdürftig gegen den harten Untergrund gepolstert. Armer Kerl, dachte Marie, kannst lange auf mitleidige Hofkrähen hoffen. Von denen gibt keiner einen Pfennig! Nicht zum ersten Mal stießen ihr die hochnäsigen Beamten auf, die in Lohn und Brot standen und die Bettler vor der Residenz eher mit Füßen traten, als ihnen Almosen zu geben. Natürlich nur, solange das herzogliche Paar nicht in Sichtweite war. Besonders Elisabeth schätzte Mildtätigkeiten, und deshalb mochte Marie die in sich gekehrte Frau, deren größtes Unglück ihre Kinderlosigkeit war.
Marie kramte fünf Pfennige aus ihrem Beutel und drückte sie dem Krüppel in eine seiner schmutzigen verhornten Hände.
»Gott vergelt’s Euch, Hoheit!«, rief der Krüppel und zeigte lachend den zahnlosen Mund.
Zumindest ein Mensch war glücklich, dachte Marie und läutete die Türglocke des Ridlerklosters. Es dauerte ungewöhnlich lange, bis die Pförtnerin öffnete. »Ach, Ihr seid das. Der Herzog und sein Gefolge sind gemeldet. Eilt Euch, wenn Ihr sie sehen wollt.«
»Ich hatte erst kürzlich das Vergnügen«, meinte Marie trocken und ging durch die Halle, in der eine Magd auf den Knien den Boden schrubbte.
Überall im Kloster wurde emsig geputzt und gefegt, und die Nonnen liefen aufgeregt schnatternd durch die Flure. Marie wusch sich die Hände, spritzte sich Wasser ins erhitzte Gesicht und trank einen Becher Wasser, das die Nonnen der Reinheit wegen mit frischen Kräutern versetzten. In der Küche gab man ihr Grütze und gekochte Beeren. Auf dem Weg zu Gislas Zelle traf Marie auf Iris, deren Tunika blutverschmiert war.
Schwester Iris lächelte schief. »Ihr seht, es ist unnötig, sich wegen des gestrigen Malheurs Gedanken zu machen. Diese Flecken lassen sich nicht so einfach herauswaschen. Eine Stecherei unter den Marktweibern. Als hätten die Frauen nicht genug Arbeit, da müssen sie sich auch noch wegen eines Standes am Schrannenplatz streiten.« Sie sah Marie prüfend an. »Gibt es eine Verschlechterung im Zustand Eures Bruders?«
»Ich gehe nachher zu ihm. Nein, ich habe nichts gehört. Das Leben ist nur manchmal recht vertrackt, Schwester. Es scheint mich dauernd zu prüfen, und ich weiß nicht …« Sie biss sich auf die Unterlippe.
Schwester Iris, die täglich mit neuen Schicksalen konfrontiert wurde, hob ihre Finger zu einer Segensgeste. »Möge die Heilige Jungfrau Euch schützen und Euch den richtigen Weg weisen. Ihr habt das Herz auf dem rechten Fleck, Frau von Langenau, wenn ich das so bäuerlich ausdrücken darf. Da, wo ich herstamme, sprechen wir geradeheraus. Und wenn Euch alle Straßen zu steinig scheinen, könnt Ihr Euch hierher zurückziehen.«
Fast unmerklich schüttelte Marie den Kopf.
»Nein, ich weiß, das ist nichts für Euch. Unter diesen weißen Schleiern schlägt auch ein Frauenherz.« Die Schwester lächelte verträumt. »Ich glaube, ich weiß, wie Euer Problem gestaltet ist, dunkelhaarig, fremdländisch und Euch sehr zugetan, fürchte ich.«
Errötend räusperte sich Marie. »Nein, nein …«
»Oh, lasst mir den kleinen Spaß. Bei mir ist Euer Geheimnis gut aufgehoben.«
»Schwester Iris! Wo steckst du? Die Wunde ist aufgebrochen!«, rief eine Nonne aus dem Krankensaal.
»Himmlische Heerscharen!« Iris zwinkerte Marie zu und lief mit fliegenden Röcken zum Hospital.
Marie hatte die Treppen zu den Zellen zur Hälfte erstiegen, als sie Gisla sah, die auf ihren Gehstock gestützt über die Balustrade schaute. Die alte Frau lächelte ihr zu. »Der Hof gibt sich die Ehre. Begleitet mich in den Garten, wollt Ihr?«
»Gisla.« Marie seufzte. »Ihr würdet mich nicht belügen, nicht wahr?« Eine naive Frage, aber sie fühlte sich der ehemaligen Kurtisane gegenüber plötzlich befangen.
Gisla warf ihr einen forschenden Blick zu. »Wer hat mich verleumdet? Ihr zweifelt an meiner Aufrichtigkeit, nachdem ich Euch meine intimsten Geheimnisse anvertraut habe?«
Marie nahm sanft den knochigen Arm der Alten. »Verzeiht. Das war sehr ungeschickt. Euch zu beleidigen war nicht meine Absicht. Was ich sagen wollte, war, ob es vielleicht etwas Wichtiges in Bezug auf Remigius und die Tafeln gibt, das Licht in dieses Geheimnis bringen könnte. Ich habe gestern erfahren, dass noch ein Mann wegen einer Tafel sterben musste. Nur meinen Oheim hat der Mörder bislang
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