Blut und Kupfer
obwohl er sofort zu murren begann. »Na, na, nicht so ein Aufhebens um einen alten Mann.« Doch in seinen Augen blitzte es schalkhaft, und er ballte triumphierend die rechte Hand zur Faust. Er hatte etwas gefunden! Es konnte nicht anders sein. Ihr Oheim hatte das Rätsel der Tafeln gelöst!
Remigius’ Kleidung wirkte sauber, genau wie der Mann selbst, und das hatte er Els zu verdanken, dachte Marie und nickte der jungen Frau zu. »Wie geht es dir, Els?«
»Danke, Herrin. Die Fahrt war sehr lang. Herr von Kraiberg braucht Ruhe und sollte seine Kräuter nehmen. Sollen wir ganz da hinauf, unters Dach?«, fragte die Dienerin mit einem zweifelnden Blick auf den gebrechlichen alten Mann.
Remigius, der einen Gehstock mit einem schön gearbeiteten silbernen Knauf vor sich stellte, schüttelte den Kopf. »Wir nehmen Quartier im Höllerbräu. Albrecht bleibt nur zwei Tage, dann kehrt er aufs Gut zurück.«
Marie horchte auf. Im Höllerbräu logierte Ruben! Sie nahm die Hand ihres Oheims und legte sie sich auf den Arm. »Dass Ihr gekommen seid! Die Anstrengungen müssen Euch viel zu viel Kraft gekostet haben, und Ihr wolltet Euren Turm doch nicht verlassen.«
Remigius hustete, und es rasselte erschreckend tief in seinen Lungen. »Dies ist meine letzte Reise, Marie.« Er packte ihr Handgelenk und raunte ihr ins Ohr: »Aber ich bin der Lösung des Rätsels nahe! Der Schnitter wartet noch. Ein Pakt …« Er hustete erneut, warf ihr jedoch einen beschwörenden, fast wahnsinnigen Blick zu.
»Ja, Oheim. Aber jetzt braucht Ihr Ruhe.«
»Schlafen werde ich bald genug. Ich will Georg sehen, und dann bringt mich ins Höllerbräu«, befahl der alte Mann energisch.
Das Wiedersehen zwischen Albrecht und Georg fiel wenig herzlich aus. Beschämt stand Marie daneben, als Albrecht seinen jüngeren Bruder mit Vorwürfen überschüttete, anstatt sich nach dessen Befinden zu erkundigen.
»Euer liederlicher, unchristlicher Lebenswandel stürzt noch die ganze Familie ins Unglück! Gibt es nichts zu trinken?« Albrecht war bereits rot angelaufen und schwitzte.
»Leander, bring doch meinem Bruder bitte einen Krug Bier. Das wird ihn erfrischen. Die Reise war zehrend«, sagte Georg mit einem schwachen Lächeln. Er saß vor dem geöffneten Fenster in einem Sessel und wirkte blasser als noch vor wenigen Augenblicken. »Heiliger Antonius, dass ich Euch noch einmal sehe, Oheim! Wie lange ist es her?«
Man hatte Remigius einen Sessel neben Georgs gestellt, in den er sich mit Hilfe von Els und einem der Knechte, der ihn die Treppe hinaufgetragen hatte, setzte. »Was sind Jahre? Sie fließen dahin und höhlen uns aus, wie der Sand ein Flussbett formt.« Der alte Mann schaute nacheinander die Geschwister an, die in einem seltenen Moment vereint waren. »Leonhart wusste gar nicht, wie viel Glück er hatte …« Er nickte mehrfach mit dem Kopf, und es schien, als schliefe er ein.
Albrecht riss Leander, der leise ein Tablett auf den Tisch stellte, den Bierkrug aus der Hand, goss sich einen Becher randvoll, leerte ihn in einem Zug und schenkte sich sofort nach. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schaum vom Mund. »Zum Teufel mit dem Alten. Die ganze Fahrt über hat er mich geplagt mit Geschichten aus unserer Kinderzeit. Jetzt, da der Tod sich in seine Schulter gekrallt hat, wird er rührselig. Warum hat er sich nicht früher um uns gekümmert und das Gut verkommen lassen?«
»Albrecht, so dürft Ihr nicht sprechen«, sagte Marie leise und sah zur Tür, an der es geklopft hatte.
Leander öffnete und sprach mit dem Hausmeister. »Was soll mit dem Gepäck geschehen?«
Albrecht hob seinen Becher. »Nur meine Tasche bleibt hier. Alles andere geht ins Höllerbräu.«
Der Hausmeister starrte ihn entgeistert an. »Aber wir haben alles abgeladen, und eine Truhe ist schon fast oben!«
»Hat dich jemand darum gebeten, du Einfaltspinsel? Ladet wieder auf und glaub nicht, dass ich dir dafür etwas zahle!« Albrecht rülpste und streckte die langen Beine aus.
»Von mir erhaltet Ihr keinen Pfennig. Ihr nicht und auch Eure zänkische Brut nicht«, sagte Remigius, dem nichts entgangen war. »Mir reicht es. Georg, wenn es Euch besser geht, besucht uns im Gasthaus. Marie, wir gehen.«
Albrecht spuckte auf den Boden. »Ja, geht nur und lasst mich allein mit dem feigen Sodomiten, der nicht mal ehrenhaft sterben konnte!«
Unglücklich stand Marie zwischen den Brüdern, doch Georg nickte und winkte sie fort. »Jemand wie ich muss wohl eine herbe Enttäuschung
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