Blut und Kupfer
Lächeln verbirgt oft genug die Missgunst. Es ist so schwer! Elisabeth ist eine milde, großherzige Seele, auf der die Kinderlosigkeit wie ein Fluch lastet. Sie schöpft Kraft aus ihren Gebeten und ihrem Gatten, der zu ihr steht. Aber ich bin nicht wie Elisabeth. Ich finde keinen Trost im Gebet, und wenn ich dafür in die Hölle komme …« Sie kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen.
»Nicht, Marie.« Ruben sandte einen prüfenden Blick zu Georgs Schlafzimmertür, die halb offen stand. »Ein Monat ist eine lange Zeit! Ich beschwöre dich, Geduld zu üben. Und wenn sich meine Hoffnungen nicht erfüllen …« Er schaute auf die Dächer der Stadt. »Dann wird Tulechow dir ein Heim geben.«
Rubens Profil zeichnete sich gegen den blauen Himmel ab, an dem graue Wolken aufzogen. Ein erneutes Unwetter? Um seine Mundwinkel zuckte es, doch seine Miene wirkte verschlossen, und Marie verzichtete darauf, weiter in ihn zu dringen, denn die abrupten Stimmungswechsel des Böhmen hatte sie des Öfteren miterlebt. »Was wirst du nun tun?«
Knarrend schwang die Tür auf und gab den Blick auf Georgs Krankenlager frei. Leander machte eine einladende Geste. »Herr Georg freut sich über Neuigkeiten! Habt Ihr bereits gegessen?«
Ruben schüttelte den Kopf und setzte sich auf einen der Stühle neben Georgs Bett. »Ihr seht sehr viel besser aus als bei unserer letzten Begegnung im Herzogshospital.«
»Dank sei dem guten Doktor Zacharias!«, sagte Georg und ließ seinen Blick während der folgenden Unterhaltung über die Vorkommnisse in der Stadt und die bevorstehende Krönung zwischen Marie und Ruben hin- und herwandern.
Marie kannte ihren Bruder gut genug, um zu wissen, dass er ahnte, was sie für Ruben empfand, doch er sagte nichts. Erst als Albrechts Kutsche am Ende der Woche mit der Tafel aus Kraiberg in den Hof einfuhr, winkte Georg seine Schwester zu sich. Er konnte sich inzwischen mit Hilfe eines Gehstocks einige Schritte innerhalb der Wohnung bewegen und stand neben ihr am Fenster. Warme Fallwinde trieben die Luft bei strahlend blauem Himmel durch die Stadt und legten sich vielen Einwohnern aufs Gemüt. Auch Georg klagte über Kopfschmerzen und blinzelte angestrengt in den Hof hinunter, wo sich der Hausmeister und eine Horde Jungen um die Kisten scharten, die von der Kutsche geladen wurden.
»Marie, wenn Albrecht kommt, solltet Ihr Euch in Gesellschaft des Herrn Sandracce etwas vorsehen.« Er räusperte sich.
»Bitte?«
»Ihr versteht mich schon. Ich mag lädiert sein, bin aber nicht blind. Solange Ihr Eure Vermählung nicht gefährdet, könnt Ihr tändeln. Wer würde das besser verstehen als ich …« Das Licht fiel auf die rote Narbe, die sich über seine Wange zog und Zeugnis für Georgs verbotene Gefühle ablegte. »Aber unser lieber Bruder da unten wird sich aufspielen wie der Arm Gottes. Es sei denn, es wäre eine grundlegende Wandlung mit ihm vorgegangen.«
Marie schnaubte verächtlich. »Hoffentlich verschont er uns mit der Gegenwart seiner Familie.« Sie beugte sich vor, um besser sehen zu können, was unten vorging. »Er hat jemanden mitgebracht.«
Plötzlich stieß sie einen Schrei aus, raffte die Röcke und rannte zur Tür.
»Aber wen um des lieben Himmels willen?«, rief Georg.
»Den Oheim!«
»Die können aber nicht alle bei mir Quartier nehmen!«
Doch Marie war schon halb im Treppenhaus und rannte an einem verdutzten Geiger vorbei, dessen Instrument einen singenden Ton von sich gab, als er damit gegen das Geländer prallte.
Remigius von Kraiberg stützte sich schwer auf Els, die scheu den Blick auf den Boden gerichtet hielt, während Albrecht mit grimmiger Miene über den Hof schritt und alle zur Seite stieß, die ihm im Weg waren.
»Marie!«, raunzte Albrecht. »In was für einen Skandal ist Georg verwickelt? Wo ist er überhaupt?«
Sie deutete nach oben zum Dach, wo man die Fensterläden von Georgs Wohnung sah.
»Murböck mein Name. Hausmeister von Amts wegen. Stehe zu Euren Diensten, Hoheit«, diente der neugierige Hausmeister sich an, dessen grinsender Mund mehr schwarze Löcher als Zahnruinen präsentierte.
Mit der unterwürfigen Anrede errang der schlaue Mann zumindest Albrechts Aufmerksamkeit, und Marie ging zu ihrem Oheim, der die zitternde Hand nach ihr ausstreckte. »Mein liebes Kind!«
Der vertraute Anblick des hageren alten Mannes mit dem struppigen weißen Bart in seinem bunten Mantel schnürte Marie die Kehle zusammen, und sie schloss ihn in die Arme und küsste ihn auf die Wangen,
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