Blut und Kupfer
Klopfen riss Marie aus ihrer Lektüre. Die Musik war verstummt, und sie öffnete die Wohnungstür in der Erwartung, einen der Musiker vor sich zu haben, die des Öfteren um einen Krug Bier oder ein Brot fragten. Seit der Herzog Besoldungserhöhungen gestrichen und Gehälter auf ein Minimum gekürzt hatte, reichte den meisten Hofangestellten der Lohn zum Leben nicht aus.
»Du!«, rief sie und spähte ins Treppenhaus.
»Marie, ich habe Neuigkeiten!« Er wirkte übermüdet, doch seine Augen strahlten, und er zog sie an sich, um sie zu küssen.
Kaum berührten seine Lippen ihren Mund, da öffnete sich die gegenüberliegende Tür. »Komm herein.« Rasch zog Marie den unerwarteten Besuch in die Wohnung.
»Wer ist denn da, Marie?«, rief Georg aus dem Nebenraum.
»Herr Sandracce! Wegen dem Oheim!«, antwortete Marie, ohne ihre Augen von Ruben zu nehmen, der ihre Hände ergriff.
»Ich habe einen Beweis dafür gefunden, dass Sallovinus’ Mörder hier in München ist!«, flüsterte er an ihrem Ohr und berührte sie sanft, wo noch ein dunkler Umriss des Blutergusses zu sehen war.
Sie schloss die Augen und legte ihren Kopf an seine Brust. »Bertuccio hat gesagt, du wärst in das Haus eines Verdächtigen eingebrochen. Das ist Irrsinn! Wenn …«
»Es ging nicht anders. Jais ließ mir keine Ruhe. Ich war in Tulechows Haus. An Tulechows Papiere bin ich nicht gelangt, aber in Jais’ Kammer habe ich eine Pietra-Dura-Schatulle gefunden! Diese Schatulle war mein Gesellenstück. Ich habe sie damals Sallovinus geschenkt. Nur der Mörder kann sie aus Prag gestohlen haben, denn sie war bereits fort, als ich Bernardus leblos am Boden fand.«
»Jais! Aber das kann nur bedeuten, dass Tulechow ihn geschickt hat!« Sie hob den Kopf. »Und die Tafel, die bei ihm gestohlen wurde? Was soll das? Eine Finte, Theater?«
Im Treppenhaus erklangen Schritte, und Ruben ging mit Marie an die Stirnseite des Wohnraums, wo ein Luftzug die Gerüche der Stadt durch die offenen Fenster trug.
»Ich habe mich umgesehen, konnte aber keinen Hinweis auf die Tafeln finden. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sie im Haus sind. Es gibt auch kein Laboratorium, nur eine bunte Sammlung von Kunstwerken. Es sieht nicht danach aus, als verberge Tulechow etwas. Ich bin mehr denn je davon überzeugt, dass er nicht der Anstifter ist.«
»Aber Jais hat die Morde nicht aus eigenem Antrieb begangen! Er ist nur ein Diener!«, gab Marie zu bedenken und sah zur Tür, die sich in diesem Moment öffnete.
Außer Atem trat Leander mit einem Sack voll Brot, Karotten und zwei Flaschen Wein herein. »Es wird immer heißer, und die Straßen stinken vor Dreck zum Himmel!« Er stutzte, als er Ruben sah. »Gott zum Gruße, Herr Sandracce. Ihr erspart mir schon wieder den Gang zum Kloster.« Grinsend ging Leander in den Nebenraum, wo er die Mahlzeiten vorbereitete.
»Marie! Was geht denn vor?«, verlangte Georg zu wissen, den die Neugier auf seinem Krankenlager plagte, doch Leander kümmerte sich bereits um seinen Herrn und zog die Verbindungstür halb zu.
Ruben lehnte den schlanken, muskulösen Körper gegen die Wand neben dem offenen Fenster, sah sich um und lächelte. »Marbods ›Lapidarium‹.«
Sie zuckte die Schultern. »Remigius hat ein Exemplar in seinem Turm. Es geht doch um einen Stein, nicht wahr?«
»Ach, Marie, um mehr als das. Jais ist nur ein Werkzeug, wenn auch schlau und unberechenbar. Ich bin mir nicht sicher, ob Tulechow weiß, dass sein Diener sich mit der Nonne und dem Jesuitenpater in dem Schusterhaus getroffen hat. Der Laden gehört zu einem Wohnhaus, in dem vier Wohnungen sind, alle vermietet. Der Besitzer des Hauses ist ein Bankier aus Ingolstadt.« Seine dunklen Augen ruhten auf ihr und weckten die widersprüchlichsten Gefühle.
Leises Stimmengemurmel drang aus Georgs Schlafraum und erinnerte sie daran, dass sie nicht allein waren. Marie strich sich über den Rock ihres schlichten hellblauen Kleides. »Das ist wahrlich eine großartige Neuigkeit«, sagte sie schmallippig. »Du denkst, dass Jais der Mörder ist, aber Tulechow hat damit nichts zu tun. Warum kannst oder willst du mir nicht mehr sagen, genau, wie du mir verschweigst, was Remigius noch über die Tafel herausgefunden hat. In knapp einem Monat ist Tulechow zurück, und ich muss ihn heiraten!« Sie rang die Hände. »Dieses Kloster ist wie ein Gefängnis für mich, und in der Residenz ist es nicht besser. Hinter jeder Säule, jedem Vorhang lauern Augen und Ohren, und ein freundliches
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