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Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Wilken
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einer Stelle bei de Boodt heißt es, dass man bei wertvollen Steinen die Größe und uneingeschränkte Macht Gottes schauen könne, die in so kleinen Teilen die Schönheit der ganzen Welt und die Kraft aller anderen Dinge vereine. Weiter sagt er, dass man auf diese Weise jederzeit einen Abglanz, einen Funken der Göttlichkeit vor Augen hat.« Hier machte Remigius eine Pause und sah Marie erwartungsvoll an.
    »Edelsteine sind nicht nur schön, sondern können auch heilen!«, fiel es Marie ein.
    »Man spricht den Steinen vielerlei Kräfte zu, und damit bewegen wir uns fort von der reinen Wissenschaft.« Remigius’ Augen leuchteten, als er mahnend den Finger hob. »Jetzt kommen Glauben und Magie ins Spiel, meint Ihr nicht?«
    »Ich weiß nicht …«
    »Wie verstehen wir diese Passage bei de Boodt? Bedeutet, die Macht Gottes in einem Edelstein zu schauen, tatsächlich nur, dass wir den schöpferischen Genius in der perfekten Schönheit verkörpert sehen, oder kann es nicht auch bedeuten, dass ein Stein die Kraft Gottes tatsächlich besitzt?«
    Gefesselt betrachtete Marie die Tafel. »Sie hat Zauberkräfte? Ist es das, was Ihr meint?«
    »Zauberei, mein liebes Mädchen, ist etwas für Naivlinge, die glauben wollen, was sie sehen, was ihnen vorgegaukelt wird. Nein, ich spreche von echter, wahrhaftiger Kraft, die gebündelt wurde und entfesselt werden kann.« Er ballte die arthritischen Finger zur Faust und öffnete sie. »Die Welt sehen und lenken, den Mikrokosmos verlassen, um das große Ganze zu erfassen!« Erschöpft lehnte er sich zurück und hustete.
    »Ihr solltet Euch nicht so echauffieren«, mahnte Marie und reichte ihm einen Becher mit Wasser.
    »Meine Zeit ist nicht mehr unendlich, Marie. Diese Tafel zu entdecken war die Verwirklichung eines Lebenstraums. Und je länger ich darüber nachdenke, sie betrachte, an den armen Bernardus denke, desto sicherer bin ich, dass diese Tafel eine der berühmten vier Tafeln von da Pescia ist. Pier Maria Serbaldi da Pescia war ein Edelsteinschneider, ein Münzgraveur und Bildhauer, ein Meister seines Fachs, ein Künstler höchsten Ranges! Bei Giacomo Tagliacarne in Genua hat er gelernt, in Pistoia und Venedig gearbeitet. Michelangelo Buonarotti zählte zu seinen Freunden, und Lorenzo il Magnifico hat da Pescia in Florenz für sich arbeiten lassen. Im Dienst dieses großen Medici zu stehen kam der Erhebung in den Adelsstand gleich. Da Pescia – bei meiner Ehre, jeder Edelsteinschneider von Rang träumt davon, auch nur annähernd seine Technik zu erreichen. Es gibt viele Fälschungen, doch diese Tafel hier, das fühle ich in jeder Faser meines modrigen Körpers, ist ein Original!« Remigius zitterte vor Erregung und griff sich an den Hals.
    »Die Aufregung ist zu viel für Euch!« Fürsorglich klopfte Marie ihrem Oheim den Rücken und gab ihm einen weiteren Schluck Wasser zu trinken. »Ihr dürft Euch nicht so anstrengen.«
    »Es geht schon.« Remigius wedelte mit einer Hand Richtung Tafel. »Deckt sie wieder zu und stellt sie hinter den Schrank.«
    Folgsam tat sie, was ihr Oheim wünschte. »Wie ist sie überhaupt in Euren Besitz gelangt?«
    »Oh, sie ist ein Geschenk. Eine Art Dank von jemandem, dem ich vor vielen Jahren einen Gefallen getan habe.« Er schwieg, schloss die Augen und strengte sich an, einen Hustenanfall zu unterdrücken.
    »Oheim, wir sollten Euch nach unten in ein wärmeres Zimmer bringen, wo es nicht so fürchterlich zieht!« Das Licht schien durch unzählige Mauerritzen, die Fenster waren in noch kläglicherem Zustand als im Rest des Hauses, und die Feuchtigkeit kroch über die Wände.
    »Nein, Marie, es ist nicht nur der Husten.« Seine Haut wirkte plötzlich noch durchscheinender, und in seinen Augen lag eine Art trauriger Resignation, als er eine Hand auf seinen Magen legte. »Da drinnen reißt und zwackt es, und ich weiß, was das bedeutet.«
    Mit Tränen in den Augen sackte Marie auf den Stuhl neben ihm.
    »Die Tafel kam vor fünf Monaten hier an. Ein Geschenk von jemandem, den ich aus Prag kannte. Prag. Plötzlich scheint meine Vergangenheit lange Schatten zu werfen.« Er holte tief Luft. »Da wusste ich bereits um meinen Zustand. Ironie des Schicksals!« Er lachte krächzend, und Bella fiel ein. »Meine Kräfte schwinden in genau dem Augenblick, in dem ich sie am dringendsten benötigt hätte.«
    Sie wollte nach seiner Hand greifen, doch er stieß sie zurück.
    »Kein Mitleid. Bevor Ihr kamt, hatte ich in der Tat wenig Hoffnung. Dieses Haus ist voller

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