Blut und Kupfer
tastete, spürte sie keine warme Feuchtigkeit. Aras knurrte und stellte sich schützend neben sie.
»Wer ist denn da? Zu Hilfe!«, schrie sie nun, tastete den Boden ab und fand einen Stein. Mühsam stand sie auf, denn die feuchten Röcke wickelten sich wie Schlingpflanzen um ihre Beine.
Dass sie nicht allein hier draußen war, konnte sie mit jeder Faser ihres Körpers spüren, und Aras knurrte und bellte in die undurchsichtige Abenddämmerung hinein. Die feuchte Luft hatte sich in Nebel verwandelt, der bereits dicht genug war, um die Furcht vor dem unsichtbaren Unbekannten zu schüren. »Anton? Bist du da draußen?«, rief sie, und noch einmal: »Wer ist da?«
Doch niemand antwortete, und Marie drehte sich nach allen Seiten, rang die Hände und konnte doch nichts erkennen in der zunehmenden Dunkelheit und dem immer undurchdringlicher werdenden Nebel, der aus Bäumen und Sträuchern bedrohliche Zerrbilder der Wirklichkeit machte. Plötzlich schnellte Aras vor und bellte in höchster Aufregung. Maries Herz schlug ihr bis zum Halse, und sie erwartete jeden Moment einen Schlag zu verspüren oder einen Schuss zu hören, aber nur ein Raunen zog geisterhaft durch die Stille.
»… und fallen soll sie und Schmerzen sein …«, zog das bedrohliche Flüstern durch den Nebel.
Von tiefster Furcht und Verzweiflung gepackt, setzte Marie einen Fuß vor den anderen, ohne zu sehen, wohin sie trat. »Aras«, rief sie schwach und hörte ihren Hund abwechselnd knurren und winseln.
»Also sollen die Gottlosen für Gott kommen …«, wisperte eine unheimliche geschlechtslose Stimme.
Aras jaulte auf und drängte sich an ihre Beine, und Maries Nerven waren dem Zerreißen nahe. »Hört auf damit!«, rief sie unter Aufbietung ihrer verbleibenden Kraft. Sie horchte in den Nebel, und plötzlich wurde sie von einem zweiten Wurfgeschoss am Kopf getroffen, doch dieses Mal war der Schreck größer als die Wucht des Aufpralls. Eine klebrige Flüssigkeit lief von ihrer Stirn in Augen und Mund und erstickte ihren Schreckensschrei. Aras sprang bellend um sie herum, doch kein Angreifer näherte sich.
Marie würgte die widerliche Flüssigkeit heraus, die pestilenzartig stank, und übergab sich, bis sie nur noch Galle spuckte. Mit einer Ecke ihres Umhangs wischte sie sich über das Gesicht und schaute sich immer wieder um, doch außer ihrem wütend bellenden Hund, dessen Nackenhaare aufgestellt waren, bewegte sich in ihrer unmittelbaren Umgebung nichts.
»Marie!«
»Dem Himmel sei Dank«, murmelte sie. Noch nie war sie so glücklich gewesen, Albrechts Stimme zu hören.
Durch den Nebel tanzten Lichter auf sie zu, und Marie antwortete mit sich überschlagender Stimme: »Hier, Albrecht, ich bin hier!« Sie rief so lange, bis ihr Bruder mit zwei Knechten bei ihr angekommen war. Die Männer waren beritten und schwenkten Fackeln, die den Nebel auf eine knappe Manneslänge zu durchdringen vermochten. Sie musste einen erschreckenden Anblick bieten, denn der wütende Ausdruck in Albrechts Gesicht wich blankem Entsetzen, als er vom Pferd sprang. »Um Gottes willen, Marie! Ihr blutet!« Er packte sie an den Schultern und wandte den Kopf zur Seite, als hätte er einen Schlag erhalten. »Teufel, welch ein Gestank!«
Zu erleichtert, um zu weinen, sagte Marie: »Irgendetwas hat mich getroffen, aber es tut nicht weh, jedenfalls nicht so sehr wie der erste Schlag.«
»Sucht die Umgebung ab!«, befahl er seinen Männern, doch die zögerten.
»Hier sind tiefe Gräben, Herr, und der Nebel ist so dicht, dass die Pferde sich die Beine brechen können. Wer nicht gefunden werden will, den finden wir jetzt nicht«, sagte einer von ihnen und hielt seine Fackel hoch.
»Verfluchter Nebel! Na schön, alle zurück zum Gut!«
Er nahm Marie vor sich auf den Sattel. »Was habt Ihr Euch nur dabei gedacht, abends allein durch die Felder zu streifen?«
Ein Knecht leuchtete den Weg vor ihnen aus, und der zweite bildete das Schlusslicht der kleinen Gruppe.
»Dieser teuflische Gestank!« Die eklige Flüssigkeit des Geschosses verursachte einen anhaltenden Brechreiz bei Marie, der sie vom Sprechen abhielt und Albrecht nötigte, sich seinen Umhang vor Mund und Nase zu drücken.
Im Hof angekommen, ließ sie sich vom Pferd helfen und stürzte an ihrem Bruder vorbei an die Tränke neben dem Brunnen. Es war ihr gleich, wie kalt das Wasser war, sie musste den Gestank loswerden, diesen widerlichen Geruch von Fäulnis und Kadaver. Sie wollte gar nicht wissen, welche Substanzen ihn
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