Blut und Kupfer
mehrere Kleider auf dem Bett ausgebreitet, als Marie mit durchweichten Stiefeln und kalten Füßen zu ihr ins Zimmer trat.
»Habt Ihr dem Einhard den Kopf zurechtgesetzt?«
»Ich fürchte nicht. Er schien mir wenig beeindruckt von meinen Worten. Sag, Vroni, weißt du, ob Anton lesen kann?«
»Der war bei den Jesuiten in der Schule und Paul auch«, sagte Vroni stolz.
»Gut. Zieh mir bitte die Stiefel aus, die Kälte kriecht mir in die Glieder. Dann hol mir einen Becher warme Milch.«
Als Vroni aus der Küche mit der Milch und einem Stück geröstetem Weißbrot zurückkam, schrieb Marie den Namen des Adressaten auf einen versiegelten Bogen, den sie Vroni gab. »Lass Anton diesen Brief bringen.« Sie trank die Milch und nahm das Brot in die Hand. »Das blaue Kleid mochte ich nie besonders. Solltest du mit in die Residenz kommen, wäre das etwas für dich. Du kannst es dir unterwegs umarbeiten.«
Ein Freudenschrei war die Antwort, und Marie ging schmunzelnd hinaus.
VI
• •
Heimtücke und Hexenzeug
Sein Unglück und sein Glücke ist ihm ein jeder selbst.
Paul Fleming (1609–40),
»An sich«
R emigius saß in sauberer Kleidung in seinem Lieblingssessel neben dem Ofen, und Bella kreischte, plapperte und warf mit Nussschalen um sich. Auf dem Tisch lagen zwei versiegelte und adressierte Umschläge.
»Nehmt sie beide mit. Von München aus gibt es einen direkten Botenverkehr nach Prag. Wann reist Ihr ab?« Remigius’ Wangen hatten etwas Farbe gewonnen, was auf das warme Bad und das nahrhafte Essen, für das Marie gesorgt hatte, zurückzuführen war.
»Morgen oder übermorgen. Das hängt von Carl ab, der die Karosse instand setzt und uns fahren wird.« Sie nahm die Briefe in die Hand und las: »Maestro Giovanni Castrucci, Praha. Kennt Ihr Castrucci persönlich?«
Remigius sah bedeutungsvoll an ihr vorbei. »Schaut sie Euch an, diese Schönheit aus Edelsteinen, Stuckmarmor, Kunstfertigkeit auf der Basis uralten Wissens!«
Marie drehte sich um und entdeckte die Tafel auf einem Schemel neben dem Schrank, hinter dem sie sonst versteckt gewesen war. Die glänzende, bunte Oberfläche schimmerte im schwächer werdenden Tageslicht. »Kein Wunder, dass der Herzog sie besitzen will. Ich kann nicht aufhören, sie zu betrachten.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob er erkannt hat, dass es sich um eine Kombination von Pietra-Dura und Scagliola handelt. Jedenfalls wird das in dem Brief vom Geheimrat Zeiner nicht erwähnt.«
»Ist das von Belang?« Heute hatte Marie nicht vergessen, die Tür hinter sich abzuschließen.
»Nun, der Herzog prahlt allerorten damit, dass er der einzige Fürst ist, der das Geheimnis der Scagliola-Technik kennt. Vielmehr kennen es Blasius Fistulator und dessen Sohn Wilhelm. Maximilian lässt die Residenz mit Scagliola-Arbeiten ausstatten, vor allem den Kaiserhoftrakt.«
»Und Castrucci?«
»Ist ein Edelsteinschneider, nicht so einfallsreich wie sein Vater Cosimo, aber gut genug, die Werkstatt weiterzuführen. Ich kam nach Prag, damals mit Bernardus Sallovinus, als die Castruccis noch nicht dort tätig waren, doch Cosimos Ruf eilte ihm bereits aus Florenz voraus. Seine Arbeit würde ich unter Hunderten erkennen. Ich habe ihn später kennengelernt, da war ich schon in herzoglichen Diensten. Kaiser Rudolf war ein exzentrischer Sonderling und der denkbar unfähigste Herrscher, aber für die Entwicklung der Steinschneidekunst in Prag war Rudolf ein Segen!« Remigius blühte beim Schwelgen in Erinnerungen an seine Prager Zeit sichtlich auf. »Seht Ihr das Buch dort neben dem Destillierapparat? Ja, genau.«
Marie griff nach einem handlichen Lederband. »›Gemmarum et Lapidum Historia‹«, las sie.
»Ah, das ist weit mehr als nur eine Abhandlung über Gemmen und Edelsteine. Anselmus Boetius de Boodt, der ehemalige Leibarzt des seligen Kaisers Rudolf, hat dieses bemerkenswerte Buch vor acht Jahren verfasst.«
»Aber was hat es mit der Tafel auf sich?«, drängte Marie.
»Ungeduld ist keine Tugend. Was wisst Ihr denn überhaupt über Steine?«
Beschämt öffnete Marie den Buchdeckel. »Nicht viel.«
»Ihr schmeichelt Euch. Gar nichts! De Boodt ist ein kluger Kopf, ein guter Arzt und diplomatisch genug, Rudolfs Gelehrsamkeit in seinem Werk zu preisen. Tatsächlich hatte sich Rudolf durch Fleiß eine Menge Wissen über Steine, Astrologie und Alchemie angeeignet. Leider nicht genug, um zu erkennen, wer ihn mit Scharlatanerie hinters Licht führen wollte, aber das ist eine andere Geschichte. An
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