Blut und Kupfer
Vroni überlegte kurz und grinste. »Gesäß.«
Die Kutsche ratterte über die aufgeweichten Wege, die aus einer unendlichen Aneinanderreihung von Schlaglöchern zu bestehen schienen. Marie nickte abwesend. Sie trug Remigius’ Briefe bei sich, und der alte Mann hatte ihr in seiner mürrischen Art versichert, dass ein zäher Knochen wie er sich den Schnitter noch einige Monate vom Leibe halten würde. Er trug ihr auf, einen alten Freund aufzusuchen, der sich ganz dem geistlichen Leben verschrieben hatte, doch wenn er von der Tafel hörte, so hoffte Remigius, dann würde er vielleicht mit ihr sprechen. Melchior Janus hieß der Mann, der sich nach einer langen Karriere als Arzt und Alchemist von der Welt in ein Kapuzinerkloster zurückgezogen hatte. »Melchior Janus«, flüsterte Marie und sah aus dem Fenster.
Bei allen Vorbehalten gegen diese Reise konnte sie nicht umhin, die Schönheit der waldreichen, hügeligen Landschaft am Fuße des Gebirges zu bewundern. Zwei Tage hatten sie mit der altersschwachen Karosse benötigt, deren Federung schon zu Lebzeiten ihres Vaters nicht repariert worden war. Die mit mürbem Samt ausgeschlagene Kabine der Karosse bot Platz für vier Personen und damit den beiden Frauen und Aras, wenn er sich von seinen Streifzügen erholte, bequem Raum.
»Deine Leiden finden ein Ende, Vroni. Schau, dort vorn ist die Isar. He, anhalten!« Sie schlug gegen die Wand, und der Kutscher brachte die Pferde zum Stehen.
Froh, den muffigen Innenraum verlassen zu können, stieg Marie aus der Karosse und streckte die Arme in die Luft. »Es scheint mir eine Ewigkeit her, dass ich in München war, aber ich erinnere mich noch gut an einen Besuch mit Vater. Wir haben genau hier Rast gemacht.« Sie drehte sich um die eigene Achse und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen, die durch den grauen Märzhimmel drangen.
Carl, der Kutscher, wie sich der Pferdeknecht aus Kraiberg stolz nannte, war ebenfalls von dem knarrenden Gefährt gesprungen und strich über die schwitzenden Pferdeleiber.
»Wie nennt sich dieser Berg, Garsten…?«, suchte Marie in ihrer Erinnerung.
»Garsteigberg, Hochwohlgeboren«, half der Kutscher, der das fünfte Lebensjahrzehnt beging und Albrecht oft auf dessen Reisen begleitete.
Vroni legte ihrer Herrin einen Schal um die Schultern, denn ein kalter Wind kam vom Fluss herauf. »Ich komm mir ganz klein vor bei all den Häusern. Wie findet man sich drunten bloß durch?«, staunte das Mädchen, dessen begrenztes Leben sich bisher auf dem Gut und den umliegenden Dörfern abgespielt hatte.
»Oh, allein gehen Damen nicht durch die Straßen. Georg wird uns schon alles weisen. Horch! Das sind die Glocken von Sankt Michael!«, sagte Marie.
Melodisches Geläut kündete die Mittagsstunde an, und bald fielen weitere Glocken ein und riefen die Gläubigen weit über die Stadtgrenzen hinaus zum Gebet. Von ihrem erhöhten Standpunkt aus schauten sie auf das Isartal mit seinem verzweigten Adergeflecht sich ständig verändernder Flussarme, die sich durch die Kiesbänke, die Griesen, wanden. Flöße und Kähne waren in großer Zahl entlang den Länden, den Landungsplätzen, zu sehen. Auf dem Fluss wurde ein Großteil des Warentransports von und nach München abgewickelt, und die Isar war Energielieferant für Mühlen und Schmiedehämmer.
Eine schier endlos lange Holzbrücke führte über die tristen Kiesbänke und Flussarme in die Stadt. Neben einem Gasthof ragte ein hölzerner Wasserturm auf, und ein Torwächterhaus markierte die Stadtgrenze, an der auch der Zoll zu entrichten war. Zu ihrer Rechten lagen einzelne kleine Gehöfte, die sich inmitten von Feldern und Mischwald bis zum Flussufer erstreckten. Carl nickte in Richtung der Griesen. »Seht Ihr die Leute dort im flachen Wasser und auf den Kiesbänken? Die sammeln Kalksteine fürs Brennen. München hat viele Vorteile. Ringsherum ziehen sich die Anger, auf den Weiden steht fettes Vieh, und dann haben sie die Krautäcker und die Hopfengärten. Denen fehlt’s an nichts!«
Marie dachte sich ihren Teil, denn dass es den Bauern hier besser gehen sollte als auf dem Land, konnte sie sich nicht vorstellen. Warum auch? Dort waren es die Gutsherren, die ihren Teil forderten, hier würde es der Herzog sein oder ein Bischof. Irgendjemand knöpfte den Bauern immer den letzten Zehnten ab, so dass ihnen kaum genug zum Leben blieb.
Ein Strom von Landvolk, Händlern mit Säcken und Karren und ein buntes Reisevölkchen zog an ihnen vorbei auf das Tor zu, durch
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