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Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Wilken
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Enttäuschung auf Vronis Gesicht nicht entgangen, doch erst als sie die Eingangshalle des Wohnhauses betreten hatte, konnte sie sprechen.
    »Wart nur ab, Vroni, die Residenz soll selbst den Kaiser beeindruckt haben!«, tröstete sie das junge Mädchen, das sich beklommen umsah.
    Während sie auf Carl warteten, konnten sie die neugierigen Blicke der Hausbewohner hinter halbverschlossenen Türen und Läden förmlich spüren. Der Kutscher brachte schwitzend eine Kiste und einen Sack mit, die er geräuschvoll auf den Steinboden fallen ließ. Er schien noch zu überlegen, als dynamische Schritte die Holztreppe heruntereilten. Ein elegant gekleideter junger Mann mit blonden Locken, einem freundlichen Lächeln und den rötesten Lippen, die Marie jemals bei einem Mann gesehen hatte, nahm den letzten Treppenabsatz mit einem Sprung und kam direkt vor ihr mit einer eleganten Verbeugung zum Stehen. »Wir haben auf Euch gewartet, Durchlaucht!«
    »Was für eine Begrüßung! Durchlaucht!« Marie lachte. »Vielleicht verwechselt Ihr uns! Ich bin Marie von Langenau.«
    »Euer werter Herr Bruder, Georg von Kraiberg, in dessen Namen ich die Ehre habe, Euch daselbst zu empfangen, vergeht schon vor Ungeduld. Bitte, habt die Güte, mir zu folgen.« Mit einer gezierten Handbewegung unterstrich er seine Bitte. »Verzeiht, Leander ist mein Name. Euer Diener.«
    Wenn er überhaupt ein Diener war. Der eloquente Mann konnte auch ein Sekretär sein. Der Sekretär eines Sekretärs. Doch wenn Georg einen Sekretär bezahlen konnte, warum lebte er dann in einem heruntergekommenen Mietshaus? Keuchend hielt sie sich nach einer Weile am Geländer fest und drehte den Kopf, um nach oben zu sehen. »Wie weit …?«
    »Noch vierzig Stufen!«, rief Leander fröhlich und ohne eine Spur von Ermattung.
    Vroni und der schwer beladene Carl kommentierten diese Auskunft mit verhaltenen Flüchen, und Marie schloss sich insgeheim an. Die Wohnung ihres Bruders bestand aus drei Zimmern, deren Fenster unter Traufgiebeln zur Straße hinausblickten. Auf der gegenüberliegenden Seite des Dachgeschosses gab es eine weitere Wohnungstür.
    »Da wohnen Musiker, die in der Hofkapelle spielen«, erklärte Leander auf Maries Frage.
    »Die Gehälter bei Hofe können aber nicht üppig sein, wenn die Leute hier wohnen müssen.« Mit gekräuselter Nase musterte Marie die fleckigen Wände, von denen der Putz abbröckelte. Im größten Raum bedeckte ein verblichener Wandteppich einen Teil der Wand, die Dielen waren gefegt, und in einem kleinen Ofen brannte ein Feuer.
    Leander zog den komfortabelsten Sessel für Marie heran. »Bitte, der Herr Georg sollte bald aus der Residenz zurück sein. Dann gehen wir gemeinsam essen.«
    Sich die verschwitzte Stirn mit einem Taschentuch tupfend, meinte Marie erstaunt: »Wir gehen auswärts essen?«
    »Aber ja, Hochwohlgeboren, das pflegt man hier zu tun. Gleich nebenan hat’s die erste Schankwirtschaft, nicht besonders zu empfehlen. Das Fleisch ist so zäh, als hätt der Schuster damit schon besohlt. Ums Eck hin zum Schrannenplatz findet Ihr eine Gastwirtschaft neben der anderen, und dort wird getafelt!« Leander spitzte genüsslich die Lippen.
    »Fein reden kannst du ja, aber wo sollen denn die Herrin und ich nächtigen? Und die Kleider müssen auch gewechselt werden, bevor wir unters Volk gehen können.« Vroni stemmte die Arme in die Hüften und sah sich in dem spärlich möblierten Raum um, in dem außer zwei weiteren Sesseln, einer Kommode, einem Tisch, einer reich beschnitzten, mit Kissen geschmückten Truhe mehrere Kisten und Körbe mit Holzscheiten standen.
    Leander wies ihnen das angrenzende Zimmer zu, Georgs Schlafzimmer. Von der Straße klang Geschrei herauf, das bald darauf erstarb. »Blutrünstiges Pack«, sagte der blonde Diener und sah kurz aus dem Fenster. »Jeden Tag wird irgendein neues Mandat erlassen, um die Leute zu gängeln und ihnen den letzten Funken Lebensfreude auszutreiben. Heute Nachmittag haben sie einen Ehebrecher köpfen lassen. Himmel und Hölle, wo kämen wir denn hin, wenn wir jedem den Kopf abschlagen, der fremdvögelt! Da würde die Hälfte der Hofschranzen ihres gepuderten, verluderten Hauptes verlustig gehen!«
    Vroni hörte mit offenem Mund zu und drehte sich auf dem Fuße herum, als die Tür aufschwang und Georg von Kraiberg hereinstürmte. »Wenn das kein Lichtblick ist! Meine allerliebste Schwester und ein sauberes Landmädel!«
    Errötend senkte Vroni den Blick, doch Georg kannte keine Scheu, umarmte

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