Blut und Kupfer
»Macht Euch keine Sorgen. Morgen ist alles vergessen. Der Herr Georg kann niemandem lange gram sein.«
»Ich weiß. Danke, Leander.«
Vroni kam kauend herein und hielt Marie ein Stück Käse hin, das diese ablehnte und stattdessen den Brief öffnete. Ihr Name war in ungelenken Schriftzügen geschrieben, offenbar von jemandem, der nur selten zur Feder griff, und versiegelt war das grobe Papier mit einfachem Kerzenwachs.
»Vom Gut?«, fragte Vroni schmatzend und bückte sich, um Maries Stiefel aufzuschnüren.
Nachdem Marie die ersten Zeilen überflogen hatte, nickte sie. »Anton hat geschrieben!«
»Das kann nichts Gutes bedeuten! Was ist mit Paul?« Vroni zog mühsam den nassen Lederstiefel von Maries Bein.
»Es wird dir nicht gefallen, Vroni.«
Die unschuldigen großen Augen des jungen Mädchens weiteten sich. »Ich habe schon die ganze Zeit über Schlimmes befürchtet …«
»Anton schreibt:
Eurem Oheim geht es nicht gut. Das hat mir Anni, die Cousine der Köchin, erzählt, die ihm sonst das Essen gebracht und die Kammerlauge fortgeschafft hat. Jetzt macht sie das nur noch selten, weil eine neue Dienerin im Haus ist, die der Pater mitgebracht hat. Das ist eine sehr fromme Frau mit Namen Berthe. Sie geht zu den Leuten auf die Höfe, um zu helfen, aber kaum einer mag sie, denn sie fragt viel. Die Leute haben Angst, dass sie alles dem Pater erzählt und sie dann bestraft werden für ihre kleinen Sünden. Der Herr Albrecht lässt den Pater und diese Berthe überall herumschnüffeln. So war das sonst nicht.
Nicht, dass ich mich beklage, wir haben Arbeit und bestellen das Land, und zum Leben bleibt uns genug, doch die Freude ist es, die uns fehlt. Euer Bruder lässt keine Feste feiern wie früher, und die Stimmung unter den Leuten ist gedrückt. Das hängt auch mit dem falschen Einhard zusammen, der seine Klage gegen meinen Paul nicht zurückgenommen hat. Wir haben alles versucht, sind nächtens in die Stallungen von Einhard gegangen und haben nach Beweisen für die Zaubereien gesucht, die er gegen Euch gewandt hat. Dass es der Einhard war, der Euch verfluchen und mit Unrat bewerfen ließ, das ist sicher. Sonst gibt es hier niemanden, der einen Groll gegen Euch hegt. Aber diesen Sonntag wird Euer Bruder seinen Richtspruch in der Sache von Paul sagen, und wir haben doch keine Gegenbeweise! Das Kindshändel liegt vor, Einhard behauptet, ihm fehlt eine Ziege, und im nächsten Weiler hat der Schmied, von dem ich weiß, dass er ein Freund von Einhard ist, gesagt, dass er Paul beim Stehlen eines Kupfertellers gesehen hat. Die Ziege wurde nicht bei uns gefunden, aber der Teller tauchte bei einer Hausdurchsuchung, die Euer Bruder durchführen ließ, plötzlich in Pauls Kammer auf! Um der Barmherzigkeit willen, helft uns, hochverehrte Frau von Langenau! Ich weiß sonst niemanden, an den ich mich wenden kann. Am Sonntag wird das Urteil gesprochen, und wenn nichts geschieht, stellt man Paul an den Pranger und blendet oder brandmarkt ihn. Der Junge wird die Schande nicht überleben. Des bin ich gewiss, und wenn meinem braven Jungen dieses Unrecht widerfährt, werde ich den Einhard dafür büßen lassen. Wenn es das Letzte ist, was ich auf dieser Erde tue.
Anton Wimer
Untertänigster Diener «
Vroni hockte mit feuchten Augen vor Marie auf dem Boden und hielt den nassen Stiefel in den Händen. »Das ist so schrecklich, das kann doch nicht geschehen! Paul ist unschuldig!« Sie sprang auf. »Ich muss nach Haus! Ich werde sagen, dass Paul mit mir zusammen war, als die Diebstähle geschehen sind!«
»Du warst aber im Haus, in der Kammer neben meinem Zimmer. Ursel wird das schon bestätigen, und wenn nicht die, dann Eugenia selbst. Wie ich sie kenne, wird ihr das eine Freude sein.« Marie knetete ihre Unterlippe. »Heute ist Montag. Wenn wir morgen oder übermorgen fahren, sind wir rechtzeitig in Kraiberg.«
Es gab keine andere Lösung, sie musste mit Albrecht sprechen. Was war denn nur los mit ihrem Bruder? Am meisten beunruhigte sie, dass der Pater sich auf dem Gut eingenistet und nun sogar eine Dienerin eingeschleust hatte. Albrecht verabscheute die Jesuiten. Waren seine finanziellen Probleme noch größer als vermutet? Remigius war Albrecht ausgeliefert, wenn er sich nicht länger allein helfen konnte, und was dann mit dem alten Mann geschehen würde, wollte sich Marie nicht vorstellen. Sie dachte nach. Der Brief an die Castruccis war längst abgeschickt, mit Zeiner hatte sie gesprochen, nicht erfolgreich, aber der
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