Blut und Kupfer
sie in seinen Armen, gerade lange genug, um seine Lippen in ihre Haare zu drücken und an ihrem Ohr zu flüstern: »Ambrosius’ Mörder ist auch der Mörder von Bernardus, und Euer Oheim ist in Gefahr. Ihr solltet ihn warnen.«
»Herrin! Euer Bruder ruft! Ihr müsst kommen!«, rief Vroni nachdrücklich.
»Ja, sofort«, antwortete Marie und legte ihre Hände gegen den feuchten Stoff von Rubens Umhang. »Und die Tafel?«
»Soll er sie dem Herzog verkaufen.«
Sie fühlte sein Herz unter ihren Händen schlagen und suchte in der Dunkelheit nach seinen Augen. »Was werdet Ihr jetzt tun?«
Vroni kam atemlos herbeigerannt. »Der Herr Georg kommt!«
»Was zum Teufel …?«, hörten sie Georg wütend rufen.
Mit einem Satz war Ruben auf der Straße und eilte im Schatten der Nacht davon. Bevor Georg sie erreichte, griff Marie nach Vronis Hand und ging ihrem Bruder entgegen. »Das nächste Mal soll er sich anmelden, so ein ungehobelter Bursche, dein Vetter.«
XI
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Der Brief des Pächters
Die Ros’ ist ohn warumb, sie blühet weil sie blühet,
sie achtt nicht jhrer selbst, fragt nicht ob man sie sihet.
Angelus Silesius (1624–77),
»Cherubinischer Wandersmann«
I hr geht heute Abend nicht mehr aus«, bestimmte Georg säuerlich, als sie in die Dachwohnung des Mietshauses traten. Aus der Wohnung der Hofmusiker tönten klagende Laute eines Blasinstrumentes.
»Ruhe!«, brüllte Georg, bevor er die Tür zuwarf und sich den Umhang vom Hals riss.
Leander sah sie überrascht an und sammelte Georgs Umhang vom Boden auf.
»Ich habe Hunger!«, beschwerte sich Vroni und zeigte auf Aras. »Und er auch!«
»Dann wird Leander euch etwas zu essen richten. Begnügt euch mit dem, was da ist. Du hast genauso wenig Anstand wie deine Herrin. Aber wahrscheinlich hat sie dich deshalb ausgewählt«, herrschte Georg die verdutzte Vroni an und ging in den Nebenraum.
»Oh, ich … was ist denn nur?«, wunderte sich Leander, und seine Locken flogen hin und her, während er von einem zum anderen sah.
»Der Herr ist schlecht gelaunt, weil ich einen eigenmächtigen Ausflug unternommen habe. Hast du denn irgendetwas für mein Mädchen und den Hund? Ich habe keinen Appetit«, sagte Marie und ging in die kleine Schlafkammer, die sie sich mit Vroni teilte. Erst dort öffnete sie den nassen Umhang und zog das Buch aus ihrer Jacke, von der drei Knöpfe abgerissen waren. »Ach, verflucht.«
Unglücklich sank Marie auf das Bett und betrachtete das unscheinbare Buch. Sie zog an dem Lederband, doch die Enden waren versiegelt, und sie legte es zur Seite. Sollte Remigius sich damit befassen. Wahrscheinlich standen irgendwelche verschlüsselten alchemistischen Reime darin, die kein normaler Mensch verstand. Sie grübelte über Ruben nach. Abrupt stand sie auf und trat ans Fenster, doch in der Dunkelheit und durch den niedergehenden Regen konnte sie nur undeutliche Umrisse von Menschen auf der Straße erkennen.
Die Zimmertür wurde aufgerissen, und Georg sagte kühl: »Ich gehe noch einmal fort. Leander bleibt bei Euch, dann braucht Ihr Euch in der Wohnung allein nicht zu fürchten.«
»Und was treibt Euch noch in die Dunkelheit hinaus, Georg? Ich habe mir nichts vorzuwerfen, und das wisst Ihr!«
Er fuhr sich durch die Haare und sah an ihr vorbei auf das Bett. »Was ist das für ein Buch? Erbauliche Lektüre?«
Rasch hob sie das Buch auf. »Ja. Ein Geschenk für die Herzogin.«
»Sie liebt ihre Heiligen, die arme Frau. Kinder waren ihr sehnlichster Wunsch, und der wird ihr verwehrt. Das habt Ihr mit Elisabeth gemein.« Er lächelte, und sie erkannte den sanften Georg aus ihren Kindertagen. »Aber nur das. Ansonsten seid Ihr ein eigensinniges Frauenzimmer, Marie, aber ich liebe Euch. Deshalb beschütze ich Euch, manchmal eben vor Euch selbst.«
Er nickte und ging hinaus. Kurz darauf schlug die Wohnungstür zu.
»Und wer beschützt Euch, Georg?«, murmelte sie und versteckte das Buch in ihrer Reisetruhe.
Ihre Stiefel waren durchweicht und die Röcke schmutzig und schwer von der Nässe. »Vroni! Ich brauche deine Hilfe!«, rief Marie.
Statt des Mädchens kam Leander herein und schwenkte einen Brief. »Der kam heute für Euch vom Gut Kraiberg.« Er legte den Brief auf das kleine Tischchen vor dem Bett. »Hungern müsst Ihr auch nicht. Etwas Wein ist da, Brot, nicht mehr ganz frisch, aber essbar, Käse und Trockenfrüchte. Der Murböck hat bestimmt noch einen Knochen für den Hund.«
»Murböck?«
»Der Hausvorsteher.« Leander grinste.
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