Blut und Kupfer
Kopf schief. Als die Klappe hinter dem vergitterten Sichtfenster geöffnet wurde, stieß der Hund ein warnendes Knurren aus.
»Wer ist da? Habt Ihr einen Brief für uns?« Misstrauische Augen spähten unter einem schwarzen Schleier hervor, der Teil einer Ordenstracht zu sein schien.
Marie entschied sich für eine zweckmäßige Lüge und senkte die Lampe. »Ja, eine Depesche aus der Residenz.«
Die Klappe wurde zugeschlagen, ein Schlüssel gedreht, und die Tür schwang einen Spalt breit auf. »Gebt her!«
Mit Wucht stieß Marie ihren Stiefel gegen die Tür und brachte die dahinterstehende Frau zum Stolpern. Es bedurfte nur eines Winkes, und Aras drängte sich an Marie vorbei in den Turm.
»Ruft den Hund zurück!«, schrie die Nonne und gab den Weg frei.
Marie drückte die Tür nun mühelos auf und hob beim Hindurchtreten die Lampe. »Oheim? Ich bin es, Marie! Geht es Euch gut?«
Als keine Antwort erklang, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die Nonne, die von Aras an der Wand gestellt worden war. »Lass ab, Aras«, sagte sie, und die Nonne strich ihren Velan, den schwarzen Schleier, glatt.
»Was fällt dir ein?«, fauchte die Ordensschwester böse. Ihr schmales Gesicht war von Härte und Entbehrungen geprägt, und ein verschlagener Zug lag um ihre dünnen Lippen. Selbst ohne die strenge Ordenstracht wäre sie keine Zierde ihres Geschlechts, dachte Marie und lächelte höflich.
»Es wäre wohl an mir, eine Rüge für dein unangemessenes Betragen auszusprechen, Schwester. Du bist nur Gast im Haus meines Bruders.«
Die Züge der Ordensschwester versteinerten, doch Demut gehörte nicht zu ihren Tugenden. »Ich bin hier zum Wohle des Herrn Remigius von Kraiberg. Und ich habe mir nichts vorzuwerfen. Der Herr ist krank und kann keinen Besuch empfangen. Lasst mich meine Arbeit tun, vielleicht könnt Ihr morgen zu ihm. Oder wendet Euch an Pater Hauchegger.«
Diese Frau war unverfroren und frech wie ein Metzgersweib, und Marie drängte sich ein unangenehmer Verdacht auf. »Gemach, gemach! Wie ist dein Name?«
»Berthe.«
»Zu welchem Orden …« Von oben war ein Husten zu hören. »Oheim!«, rief Marie und rannte mit gerafften Röcken die Treppen hinauf.
Ein kurzer Blick in Remigius’ Kuriositätenkabinett zeigte leere Regale und auf dem Tisch aufgeschlagene Bücher, sie stieg die Stufen zum Laboratorium hinauf und sah hinein. Sie hatte nicht erwartet, ihren Onkel hier zu finden, doch er hatte seine Bettstatt an der Wand gegenüber dem Ofen aufstellen lassen und kämpfte mit einem Hustenanfall.
Ohne die Unordnung und den erdrückenden Gestank – eine Mischung aus Schwefel, Urin und Ausfluss – zu beachten, eilte sie zu Remigius, der sich erschöpft an der Bettkante festhielt und abwehrend die Hand hob, als er ihren Schatten sah. »Geh weg!«, brachte er mühsam hervor.
Aras schnupperte an den mit schimmeligen Speiseresten verkrusteten Tellern, die auf dem Boden standen. Was auch immer Berthe hier getan hatte, das Reinigen des Zimmers hatte nicht dazugehört. Der Raum strömte den Gestank von Verwesung und Krankheit aus und war in einem Zustand vollständiger Verwahrlosung.
»Gott helfe mir, Oheim! Erkennt Ihr mich denn nicht?« Sie schob die Teller mit einem Fuß zur Seite und ergriff sanft Remigius’ Hand, die kalt und knochig war.
Der ruhelos umherirrende Blick des alten Mannes blieb an ihr haften, und langsam entspannten sich seine angestrengten Züge, und er sank auf sein Lager. »Marie. Wo seid Ihr gewesen?«
Sie lächelte erleichtert, als sie den Vorwurf in seiner Stimme hörte. »In München, Oheim. Ich war doch in die Residenz geladen worden.«
»Ach ja.« Sein blasses Gesicht war ausgemergelt, der Bart seit Tagen nicht gestutzt, und die Haare klebten ihm am Kopf. »Schickt dieses teuflische Weibsstück fort! Sie vergiftet mich!«
Besorgt betrachtete Marie den Kranken. Redete er schon wirr? Doch sein Blick war klar, als er sie zu sich winkte.
»Ich habe Bella von dem Kuchen gegeben«, flüsterte er heiser.
Erschrocken schaute Marie auf. Deshalb war es so still im Turm! Bella hatte nicht gekreischt oder gelacht! »Sie ist gestorben?«
Remigius nickte ernst.
»Ich komme gleich zurück.« Marie ging hinaus, um nach Berthe zu sehen. Sie fand die Nonne im Kabinett ihres Oheims, wo sie eilig Bücher und Dokumente zusammenräumte.
»Lass das sofort liegen!«, herrschte Marie die kleinere Frau an.
Als hätte sie sich verbrannt, ließ die Frau den Stapel Papiere fallen. »Herrgott, Ihr erschreckt
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