Blut und Kupfer
eine arme Seele zu Tode.«
»Solltest du von dir sprechen, wäre das sicher noch ein milder Tod für jemanden, der meinen Oheim in seinem Elend umkommen lässt!« Die Schärfe in Maries Stimme hatte mit jedem Wort zugenommen.
Berthe ging um den Tisch herum, darauf bedacht, das Möbel zwischen sich und der wütenden Marie zu belassen. »Ihr wisst ja nicht, wovon Ihr sprecht, kommt hier an und macht mir Vorwürfe. Ich bin die Einzige …«
»Halt den Mund! Zu welchem Orden gehörst du, und wer hat dich hergeschickt?« Marie überflog die Bücher, die Berthe an sich hatte bringen wollen, und fand Marbods »De Lapidibus« darunter.
»Ich bin Zisterzienserin. Die Äbtissin aus Marienthal hat eine Anfrage vom Generaloberen aus München erhalten, und ich wurde ausgewählt.«
Lügen schienen ihr über die dünnen Lippen zu fließen wie Wasser durch das Bett der Isar. Marie glaubte der Frau kein Wort. »Was willst du mit dem Buch hier? Es gehört meinem Oheim!«
Berthe verzog hochmütig das Gesicht. »Ist Wissensdurst dem Adel vorbehalten? Es gibt Frauen, deren Verstand so scharf ist wie der eines Mannes, aber das könnt Ihr nicht verstehen.«
Marie fixierte die Nonne, die sie am liebsten in eine Kerkerzelle gesperrt hätte, bis der Hunger sie gefügig gemacht und ihr den Hochmut ausgetrieben hätte. Und dann würde dieses zähe Weibsstück, das sich hinter der Ordenstracht versteckte, eine andere Geschichte erzählen. »Hinaus!«, fauchte sie und hielt die Hand auf. »Den Schlüssel.«
»Ich werde mich beschweren!« Berthe machte sich an ihrem Gürtel zu schaffen, der unter dem schwarzen Skapulier hervorschaute, und warf wütend den Turmschlüssel auf den Tisch. Nach einem letzten bösen Seitenblick auf Marie ging sie hinaus.
»Bei wem willst du Teufelin dich beschweren?«, murmelte Marie nachdenklich und nahm die Aufzeichnungen an sich, um sie Remigius zu zeigen.
Remigius hatte sich aufgesetzt, und in seine Wangen war etwas Farbe zurückgekehrt. Es bereitete ihm sichtlich Mühe, die Augen offen zu halten.
»Ihr seid viel zu dünn, Oheim!« Woher sollte er Kraft nehmen, wenn er nicht aß, weil er Angst vor vergifteten Speisen hatte? Seufzend warf Marie die Blätter auf den Tisch. »Das wollte diese Berthe mitnehmen. Oh, lieber Himmel, das Buch! Habt Ihr das Buch von Bruder Anselm, ich meine von Melchior Janus erhalten?«
Schlagartig war Remigius hellwach. »Da ging es mir noch recht gut. Der arme alte Melchior. Dass er so enden musste.«
»Bei Euch hätte auch nicht viel gefehlt.«
Remigius blinzelte. »Ach, ich habe ja einen Schutzengel.« Er lächelte, und die Wärme und Dankbarkeit in seinen Augen ließen Marie vergessen, wie unleidlich der Alte sein konnte.
Ihre Rührung verbergend schaute sie sich im Durcheinander des Laboratoriums um. »Beim Saubermachen muss jemand helfen, und allein lasse ich Euch hier nicht mehr. Überhaupt, warum habt Ihr Aras nicht bei Euch gelassen?«
»Der durfte nicht ins Haus, hat das junge Ding gesagt, das vorher bei Euch war. Sie ist auch irgendwann fortgegangen«, brachte Remigius mühsam hervor und musterte sie aufmerksam. »Ihr seht aus, als hättet Ihr einen Unfall gehabt?«
Ihr eigenes Ungemach hatte sie über der Sorge um Remigius vergessen. »Davon später. Jetzt kümmern wir uns um Euch. Aras bleibt hier, während ich Hilfe hole.« Sie stemmte eine Hand in die Hüfte und knetete sich mit der anderen die Unterlippe.
»Ihr seht aus wie Eure Mutter«, murmelte Remigius und schloss die Augen. Bald verriet sein gleichmäßiger Atem, dass er eingeschlafen war.
»Du bleibst hier liegen und passt auf den alten Geheimniskrämer auf, Aras.« Sie hatte Wochen mit ihm über Büchern und stinkenden Reagenzgläsern verbracht, und ausgerechnet jetzt, wo sie von Schreck und Strapazen gezeichnet aussah wie ein zerlumpter Schatten ihrer selbst, verglich er sie mit ihrer Mutter. Ob es an seinem geschwächten Zustand lag? Fieberte er womöglich? Oder wurde er gefühlsselig, weil er sein Ende nahen fühlte? Doch das passte nicht zu Remigius. Sobald er kräftig genug war, würde sie ihn einiges fragen und keine Ausreden gelten lassen. Energisch nahm Marie den Schlüssel an sich und machte sich auf den Weg.
Sie dankte der guten Köchin im Stillen, als sie in ihren Gemächern eine zierliche junge Frau vorfand, die mit flinken Händen Tücher wendete und die Fenster aufgerissen hatte, um Schimmel und Feuchtigkeit aus den Räumen zu vertreiben.
»Du bist die Nichte vom Veit?«, fragte
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