Blut und Rüben
wie ich vermutet hatte. Ich wand mich. Schließlich sagte ich: »Ich habe gerade gedacht, dass Sie eine wunderschöne Frau sind.« Ich hoffte, dass es nicht zu plump klang.
Ihre Wangen färbten sich tatsächlich ein wenig rot. Vielleicht lag es auch nur an der Wärme im Lokal.
»Vielen Dank für das Kompliment. Ich hoffe, es war ernst gemeint.«
»Die wenigsten meiner wenigen Freunde würden mich als Spaßvogel bezeichnen«, erwiderte ich.
Sie suchte meinen Blick, sah mir tief in die Augen. So verdammt tief, dass ich fürchtete, sie würde auch die Dinge darin entdecken, die verborgen in der Tiefe lauerten.
»Unbeschwertheit ist ein Stück Glück, das man sich nicht kaufen kann. Ich fürchte, ich habe sie auch nicht. Aber vielleicht ... Sie wissen ja, minus mal minus ergibt plus. Nur mal theoretisch gedacht: Wenn zwei Menschen, die nicht mehr lachen können, sich ineinander verlieben oder meinetwegen auch nur ein Zweckbündnis miteinander schließen, würde das funktionieren? Würden sie das Lachen wiederfinden? Und jetzt bilden Sie sich bitte nichts darauf ein.«
Zum Glück brachte Roberto die Getränke. Maren von Greiffenberg hatte sich für einen einfachen Soave entschieden, ich zog ein gezapftes Detmolder Pilsener vor.
Sie hob ihr Glas. »Prost. Auf einen hoffentlich angenehmen Abend.«
»Ich werde mich anstrengen«, versprach ich.
»Ich heiße übrigens Maren«, sagte sie.
»Moritz.«
Wir stießen miteinander an.
»Ich dachte immer, Frauen mögen keine Männer, die nur von sich erzählen. Warum verraten Sie mir nicht mehr über sich? Wohnen Sie allein?«
»Keine Ausflüchte! Im Übrigen waren wir bereits beim Du.«
Ich seufzte. »Deine Frage kann ich nicht ehrlich beantworten. Ich wäre voreingenommen. Weil ich sie bejahen würde. Zumindest käme es auf einen Versuch an. Ich weiß nicht, ob wir uns einen Gefallen tun, wenn wir mit dem Schwierigsten beginnen.«
»Dann hast du es zumindest hinter dir. Warum verkriechst du dich im tiefsten Teutoburger Wald? Norbert hat ein paar Andeutungen gemacht. Aber vielleicht erzählst du es mir ja selbst?«
»Also gut, wenn du unbedingt willst. Aber ich weiß nicht, ob dir das Essen danach noch schmeckt.«
»So schlimm?«
So schlimm.
» Es war einmal ein Mann, der war fünf Jahre jünger als ich. Er hatte alles Mögliche studiert, war in vielem nicht perfekt, aber in einem war er richtig gut: Er konnte schreiben. Und nicht nur das: Er konnte mit dem Schreiben Geld verdienen. Weil das, was er schrieb, außergewöhnlich war. Sein Spezialgebiet waren Kriminalfälle. Meistens solche, die noch nicht aufgeklärt waren: Entführung, Erpressung, Vergewaltigung, Mord – das ganze Strafgesetzbuch rauf und runter. Meistens schrieb er in Fortsetzungen. Wenn er sich eines Falles annahm, wusste er noch nicht, wie das letzte Kapitel jeweils ausgehen würde. Das war Teil seines Erfolges. Der Mann, nennen wir ihn Journalist, begann jeweils, ganz naiv an die Sache heranzugehen – genauso wie seine Leser es machen würden. Oder du und ich. Er stellte den Fall dar, erklärte die Sachlage und den Status quo. Danach begann er, sich in die Akten zu vertiefen. Meistens entdeckte er da schon Dinge, die Polizei und Sachverständige, nun ja, anders interpretiert oder schlichtweg übersehen hatten.«
Roberto brachte das Amuse-gueule. Es handelte sich um eine mit Knoblauch marinierte Jakobsmuschel auf Mangold.
»Der Journalist vertiefte sich so sehr in die Fälle, dass er Albträume bekam. Er machte trotzdem weiter. Von den Behörden wurde er meistens verlacht, das Publikum liebte ihn. Irgendwann, so prophezeiten die Ersten, würde er auf die Nase fallen. Irgendwann, so waren die Zweiten überzeugt, würde man keine Polizei mehr brauchen, sondern nur noch Leute wie ihn. Was alle nicht ahnten: Ihm ging es nicht – nicht in einem einzigen Fall – um die Sensation oder auch nur um Effekthascherei. Sondern stets um die Wahrheit.«
Ich trank einen Schluck. Die Bilder von damals waren plötzlich wieder gegenwärtig.
»Dem Erfolg folgte der Fall. Ein Mädchen war entführt worden. Es war gerade fünf geworden. Der nicht gerade am Hungertuch nagende Vater flehte den Journalisten an, seine Tochter zu finden. Der lehnte das Geld ab. Vielleicht, weil er damals schon ahnte, dass es nicht gut ausgehen würde. Der Täter, es handelte sich übrigens um einen guten Bekannten der Familie, stellte eine aberwitzige Lösegeldforderung. Der Journalist vermutete, dass das Lösegeld nur vorgeschoben
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