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Blut und Rüben

Blut und Rüben

Titel: Blut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Voehl
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war. Das Mädchen war entweder schon tot, oder es würde sterben müssen. Weil es den Entführer kannte. Und weiter: Vielleicht war es gar nicht entführt worden? Vielleicht hatte der Täter, wie gesagt, ein Freund der Familie, ja etwas anderes angestellt mit dem Mädchen. Sich zum Beispiel an ihm vergangen. Und weil er Angst bekam, hatte er es umgebracht. Um den Verdacht nicht auf sich zu lenken, stellte er die Lösegeldforderung. Man kam ihm auf die Schliche, weil man im Umfeld der betroffenen Familie die Vergangenheit sämtlicher Personen überprüfte. Zehn Jahre zuvor war er schon einmal wegen eines harmlosen Sittlichkeitsdeliktes aufgefallen. Damals hatte er sich teilweise entblößt Kindern genähert und sie aufgefordert ihn anzufassen. Im Verhör brach er irgendwann zusammen. Aber er weigerte sich, zu sagen, wo er das Mädchen versteckt hielt. Zum damaligen Zeitpunkt, das ließ sich hinterher eindeutig feststellen, lebte es noch. Der Täter hatte es in einem mit Luftlöchern und Luftschläuchen ausgestatteten Sarg in der Nähe des Donoper Teiches vergraben. Das war der Zeitpunkt, da unser Journalist ins Spiel kam.«
    »Du musst nicht weitererzählen«, sagte Maren.
    »Sie wollten ihn nicht zu dem Festgenommenen vorlassen. Obwohl sie wussten, dass er ihre letzte Chance war. Sie hatten Angst, dass er sie verraten würde. Denn der Täter wurde gefoltert. Es waren keine Barbaren, keine Bestien. Es waren verzweifelte Polizeibeamte, die unter unglaublichem Druck standen. In ihren Augen bedeutete die Folter das letzte Mittel, den Aufenthaltsort des Mädchens herauszubekommen und es zu retten.«
    Ich machte eine Pause. Meine Kehle war wie ausgedörrt. Ich trank das Glas leer und bedeutete Roberto, noch eines zu bringen.
    Maren nickte. »Ich kenne den Fall«, sagte sie schließlich. »Jeder Kripo- und Polizeibeamte kennt ihn. Mittlerweile gehört er zur Pflichtlektüre an den Polizeischulen. Die Frage ist: Waren die Beamten moralisch im Recht, den Gefangenen zu foltern, oder nicht? Zumal der Täter ja nicht an den Folgen der Folter starb. Die sogenannte Folter bestand mehr oder weniger nur aus Androhungen und geringfügigen Köperverletzungen. Der Täter starb vor Angst. Er hatte, was weder er noch die Beamten wussten, einen angeborenen Herzfehler. Die Rechtsmedizin sprach in ihrem Gutachten von einem vergrößerten Herzmuskel, der letztlich zum Herzstillstand führte.«
    »Als die Beamten den Journalisten endlich zu dem Gefangenen ließen, war der noch am Leben. Er machte einige Andeutungen, und der Journalist hatte Zeit zum Rätseln. Doch er konnte sich keinen Reim darauf machen. Und der Entführer konnte danach nicht mehr ausplaudern, wo er das Mädchen versteckt hatte. Man fand es fünf Tage später. Es war verdurstet.«
    Maren griff über den Tisch hinweg nach meiner Hand, drückte sie. »Du musst Schlimmes durchlebt haben.«
    Wieder drohten die Erinnerungen meine Stimme zu ersticken. Ich kämpfte dagegen an. Noch immer hielten wir uns fest. Ich konzentrierte mich auf ihre Hand. Sie war weich und sanft. Schlank und feingliedrig. Ein silberner Ring mit einem kleinen Edelstein zierte den Ringfinger. Die Nägel glänzten in dezentem Perlmutt.
    Dann hatte ich mich wieder gefangen. Roberto brachte die Vorspeise. Wir lösten die Hände voneinander. Sie schenkte mir dafür einmal mehr ihr Lächeln.
    »Rucola con parmigiano e Antipasti misti nach Art des Hauses, prego.«
    Er verzog sich eingeschnappt, weil wir nur noch Augen und Ohren für uns hatten.
    »Ich würde die Geschichte gern bis zum Ende hören, bevor ich mich ins Essen stürze. Mensch, hab’ ich einen Hunger.«
    Mir ging es genauso. Deswegen machte ich es kurz und schmerzlos. »Nach dem Vorfall konnte der Journalist nicht so weiterschreiben wie bisher. Zum einen machte er sich Vorwürfe, dass er zu spät gekommen war. Er hätte das Mädchen retten können, wenn er die Andeutungen des Entführers richtig interpretiert hätte«
    »Ihn trifft keine Schuld!«, erwiderte Maren heftig.
    »Trotzdem, es ließ ihn nicht los. Immer wieder sah er das Mädchen, wie es in der Kiste unter der Erde lag und gegen den Tod kämpfte. Er unterzog sich psychologischen Behandlungen, aber weder Medikamente noch Alkohol halfen ihm. In seinem Beruf konnte er nicht mehr Fuß fassen. Artikel über marode Atomkraftwerke oder die Schönheiten der Galapagos-Inseln interessierten keinen Menschen. Zumindest nicht aus seiner Feder. Schließlich zog er sich in die allertiefste Provinz zurück.

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