Blut und Rüben
nicht.«
»Verstehe«, sagte ich und trank meinen Tee.
Wenn ich geahnt hätte, dass ich in puncto Kapitalbeschaffung noch eine entscheidende Rolle spielen sollte, hätte ich mich am Tee verschluckt und wäre wahrscheinlich schreiend geflüchtet!
So ereignisreich der Tag gewesen war, so ereignislos floss der nächste dahin. Nachdem ich mit Luna einen Spaziergang gemacht hatte, fuhr ich in die Detmolder Innenstadt, um einige Besorgungen zu machen, und bog schließlich in einen kleinen Hinterhof ab. Ein Schild verhieß die Linderung meines Magenknurrens. Rudolf’s Rostbratwurst stand dort in von appetitanregenden Bildern untermalten Buchstaben. Ich fragte mich insgeheim, ob es einen Zusammenhang gab zwischen dem falschen angelsächsischen Genitiv mit dem fehlgesetzten Apostroph und dem Geschmacksfaktor. Jedenfalls hatte ich die besten Bratwürste immer dort gegessen, wo ein wagemutiger Apostroph ganzen Scharen von fanatischen Deutsch- und Grammatikaposteln Widerstand leistete. Rudolf’s Rostbratwurst gehörte dazu. Ich bildete mir ein, dass die Sauce zur Currywurst hier früher besser gemundet hatte, aber vielleicht hatte sich nur mein Geschmack im Laufe der Zeit gewandelt.
Zum Glück war heute nicht Samstag. Da konnte es vorkommen, dass die Leute bis in die Fußgängerzone Schlange standen. Ich orderte eine Mantaplatte und stellte mich etwas abseits in meine Ecke. Während ich die heißen Pommes hinunterschlang, spielte ich mit der einen Hand in Gedanken versunken mit einem Playmobilmännchen. Ich hatte es mehr oder weniger unbewusst genommen und eingesteckt. Es war der Astronaut.
Ich zog ihn aus der Tasche und stellte die Figur auf den Tisch. Ich fühlte mich alles andere als schwerelos. Im Gegenteil: Im übertragenen Sinne kam ich mir vor wie jemand, der Blei geschluckt hatte. Ich kam nicht von der Stelle. Das betraf so viele offene Fragen in meinem Leben. Natürlich lag es an mir. Ich hatte lange gezögert, Ziele zu definieren. Das Leben in den Tag hinein war mir fast schon zur bequemen Gewohnheit geworden.
Hatte Frau von Greiffenberg mir das klarmachen wollen?
Aber wo lagen die Ziele?«Darf ich Ihnen gratulieren? Sie haben Ihr kindliches Ich noch nicht verloren«, vernahm ich plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und erblickte eine junge Frau. Blonde lockige Haare fielen ihr bis auf die Schultern. Trotz der eher kühlen Witterung war sie oberhalb der Jeans nur mit einem T-Shirt bekleidet. Es saß zu eng. Darüber trug sie einen Bauchladen.
»Was meinen Sie?«, fragte ich.
Sie deutete auf den Astronauten. »Ist das Ihr Spielzeug?«
Ich nickte. »Na ja«, sagte ich. »Eigentlich ist es mehr als ein Spielzeug. Eine Art Spiegel.«
»Verstehe, Sie würden gern davonfliegen.«
Da war etwas Wahres dran. »Vielleicht. Aber es würde nichts ändern. Sie wissen ja, wie das mit Astronauten so ist: Irgendwann kommen sie alle wieder herunter.«
»Oder sie verglühen im All.«
»Oder sie werden schrullig und seltsam und glauben plötzlich an Außerirdische.«
»Glauben Sie etwa nicht daran?«
Ich musste plötzlich an Ollie denken. »Doch, irgendwie schon. Es kommt nur darauf an, wie Sie den Begriff des Außerirdischen definieren.«
»Werden Ihre Pommes nicht kalt?«
Sie sah irgendwie hungrig aus. »Ich bin satt. Möchten Sie auch welche?«, fragte ich. »Ich lade Sie ein.«
»Oh ja, aber ich esse von Ihren mit. Ich könnte es nie übers Herz bringen, das, was uns Mutter Erde geschenkt hat, wegzuwerfen.«
Sie aß mit den Fingern. Es wirkte auf eine gewisse Art sehr sinnlich. Ich wandte den Blick ab und schaute auf ihren Bauchladen. Sie präsentierte dort ihren Silberschmuck. Ketten, Anhänger, Ringe ...
Nachdem sie meinen Teller leer gegessen hatte, sagte sie: »Ich habe etwas für Ihren kleinen Astronauten.« Ein Klecks Mayonnaise klebte an ihrer Unterlippe.
»Schade, ich hatte gehofft, Sie würden mir nichts verkaufen wollen.«
»Will ich auch nicht. Es ist ein Geschenk. Ich schwärme für Astronauten. Es muss ein tolles Erlebnis sein, die Erde von oben zu betrachten.«
»Mir reicht das Elend, das ich hier unten sehe.«
Sie wählte einen Ring aus ihrem Bauchladen, zog den Helm des Playmobilmännchens ab, damit der Ring über den Kopf passte, und setzte den Kopf wieder auf. Der Ring wirkte wie ein glitzernder Halsreif. Ich bemerkte, dass er mit rätselhaften Runen verziert war.
»Was bedeutet das?«, fragte ich neugierig.
»Glück«, lächelte das Mädchen. »Und das wünsche ich
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