Blut und Rüben
lässt?«
Wieder überlegte ich. Hatte ich Feinde? Ich war mir sicher, dass ich mir zumindest in den letzten Jahren keine gemacht hatte. Aber vielleicht hatte ja jemand von früher plötzlich Rachegelüste entwickelt. Da fielen mir eine ganze Menge Leute ein. Doch noch während ich darüber nachdachte, wusste ich instinktiv, dass das die falsche Spur war.
»Letztens wollte jemand das Rübezahl kaufen«, antwortete ich schließlich. »Zwei Herren einer Firma namens BT NATURE haben unserem Neuankömmling einen Besuch abgestattet und ihm ein Angebot unterbreitet. Na ja, Ollie war ganz happy.«
»Na also, wo ist das Problem?«
»Die Typen haben mir nicht gefallen.«
»Und vor allem, warum sollten Sie dich kaltmachen wollen?«
»Vielleicht haben Sie mich ja verwechselt. Weiß nicht, ist nur so eine Idee ...«
Abermals griff Norbert zum Handy. »Ja, Frau Maier, holen Sie doch bitte Ihren englischen Gast einmal ans Telefon. Vielen Dank.« Norbert wartete geduldig ab. Endlich schien Ollie am anderen Ende der Leitung zu sein. Norbert schilderte ihm kurz, was ich ihm erzählt hatte. Dann hörte er zu. Er hörte sehr lange zu. Schließlich verabschiedete er sich freundlich. Dann wandte er sich wieder zu mir.
»Zwei Stunden vor dem Angriff auf dich hat Herr Dickens einen Anruf erhalten. Ein Herr von der Firma BT NATURE wollte von ihm die Bestätigung, ob alles klargeht mit dem Verkauf. Dein Freund Ollie hat abgelehnt.«
»Ja, er hatte es sich in der Zwischenzeit anders überlegt. Er will das Rübezahl nicht mehr verkaufen«, erklärte ich.
Norbert zuckte die Achseln. »Das ist seine Privatsache. Jedenfalls ist an deiner These etwas dran. Nur mal angenommen, man wollte ihn auf etwas andere Weise überreden, den Deal nicht rückgängig zu machen.«
»Du meinst, man hat uns verwechselt? Man wollte nicht mich kaltmachen, sondern ihn? Das bedeutet«, schlussfolgerte ich, »dass Ollie nach wie vor in Gefahr ist!«
»So sehe ich das auch!«, bekräftigte Norbert.
Dass wir uns beide irrten, ahnten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Die Erkenntnis sollte mir erst kommen, als ich meine Wohnung wieder betrat.
Doch bis dahin verging noch eine Woche.
Eine ereignisreiche Woche.
10.
Am nächsten Tag, einem Mittwoch, entdeckte ein Taucher einen Körper ohne Kopf im Teich unterhalb der Externsteine. Er hatte sich in einer Unterwasserhöhle verfangen, die in die Externsteine führte. Außerdem war er mit Steinen beschwert worden, sodass er nicht an die Oberfläche hatte treiben können.
Am Donnerstag stellte man eindeutig fest, dass es sich um Ludwig handelte.
Ebenfalls am Donnerstag fand man den Kopf des Majors unweit der Falkenburg. Eigentlich handelte es sich um einen fast kahlen Schädel. Die Würmer und andere Kriech- und Krabbeltierchen hatten ganze Arbeit geleistet.
Norbert rief an und beglückwünschte mich zu meinem Traum. »Tja, manchen kommt’s im Schlaf«, knurrte er. Das war’s auch schon.
Weder er ließ sich persönlich blicken noch die anderen. Selbst Maren rief nur noch an. Sie habe wahnsinnig viel in ihrer Praxis zu tun, weil eine Grippewelle im Anmarsch war. Außerdem musste sie die Arbeit nachholen, die sie in den Tagen, da sie an meinem Bett gesessen und um mich gebangt hatte, versäumt hatte.
Ich fühlte mich wie der einsamste Mensch auf Erden.
Am Freitag rief die Tierklinik aus Bielefeld an. Ob ich der Halter einer Hündin namens Luna sei und wann ich sie abzuholen gedächte. Das Tier gebärde sich im Käfig wie verrückt. Es heule die ganze Zeit. Ach ja, die Rechnung belaufe sich mittlerweile auf achthundertvierundfünfzig Euro und dreiundzwanzig Cent – inklusive Übernachtung und Verpflegung. Die Rechnung sei bei Abholung des Tieres zu begleichen.
Ich versprach, mich darum zu kümmern.
Noch am selben Tag erhob ich mich selbstständig aus meinem Bett und versuchte, ohne fremde Hilfe das Waschbecken zu erreichen. Ich schaffte die zwei Meter in gefühlten zwei Stunden. In Wahrheit waren es vielleicht zehn Minuten. Dabei versuchte ich, so zu atmen, dass ich so wenig Schmerzen wie möglich hatte.
Am Samstag begann ich kurz nach der Morgenvisite damit, in meine eigene Kleidung zu schlüpfen. Es dauerte länger, als ich gedacht hätte. Vor allem die Rippen schmerzten bei jeder Bewegung.
Nachdem ich mich angezogen hatte, setzte ich mich in den Rollstuhl, mit dem mich das Pflegepersonal bisher kutschiert hatte, fuhr damit eigenhändig bis zur Tür und spähte vorsichtig nach draußen. Der Korridor lag
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