Blut und Rüben
schien er zu vermissen. »Sie haben noch nicht einmal Zucker für den Tee!«, stellte er naserümpfend fest.
»Der wird sich finden«, erwiderte ich.
Er sah mich auf merkwürdige Weise an, erwiderte aber nichts. Wortlos konzentrierte er sich darauf, den Tisch für den Afternoon Tea herzurichten. Dazu gehörte in seinen und der Gräfin Augen natürlich weit mehr als nur der Tee. Dieser war sozusagen nur das Begleitgetränk.
Fasziniert sah ich zu, wie Duffy allerhand weitere Döschen und Behältnisse hervorzauberte und der Tisch vor meinem Sofa nach und nach voller wurde – obwohl es sich beileibe nicht um den High Tea handelte!
Der High Tea war im Hause des Majors gewöhnlich um neunzehn Uhr dreißig eingenommen worden und bestand aus einer üppigen Abendbrottafel. Dagegen beschränkte sich der Afternoon Tea auf drei Gänge. Der erste Gang setzte sich im Allgemeinen aus Lachs-, Schinken- und Gurkensandwiches zusammen. Nach dieser herzhaften Einstimmung ging man gewöhnlich zum süßen Teil des Nachmittags über, indem Scones, Clotted Cream und Erdbeer- oder Orangenmarmelade gereicht wurden. Für die Nimmersatten gab es zum Nachtisch diverse Süßigkeiten, Pralinen und kandierte Früchte. Zu Zeiten des Majors, der zwar ein unverbesserlicher Traditionalist, jedoch eher ein Asket war, beschränkte sich der Afternoon Tea zumeist auf den Cream Tea , also die Scones- und Clotted Cream -Variante. Erst seit seinem Tod nahm die nachmittägliche Teezeremonie unter der Ägide der Gräfin immer üppigere Formen an.
Ich schaute auf die Uhr. Es war zehn vor fünf.
Allmählich spürte ich doch, wie ich nervös wurde. Kein einziger Besucher war bisher aufgetaucht. Vielleicht irrte ich mich ja auch und niemand von ihnen hatte irgendetwas zu verbergen. Im schlimmsten Falle bestand die Gefahr, dass ich mich lächerlich machte, aber das würde ich leicht wegstecken können.
Inzwischen hatten auch die Schmerzen wieder eingesetzt, sodass ich überlegte, ob ich eine weitere Pille nehmen sollte. Doch ich nahm Abstand davon, weil ich fürchtete, dann wieder müde zu werden.
Endlich hörte ich draußen auf dem Hof ein Auto vorfahren. Die quietschenden Bremsen verrieten mir, dass der Besucher es eilig hatte. Die Türen waren nicht verschlossen, sodass der Besucher nicht läutete. Ich hörte ihn mit eiligen Schritten die Treppe herauflaufen. Im nächsten Augenblick wurde die Wohnungstür aufgerissen, und Maren stand wutschnaubend vor mir.
»Du Idiot!«, war zunächst alles, was sie sagte. Dann kam sie zu mir ans Sofa, bückte sich zu mir herunter und küsste mich heiß und innig. »Du verdammter Idiot!«, widerholte sie. Ich schmeckte ihre Tränen.
»Es ist ja alles in Ordnung«, versuchte ich zu beschwichtigen und drückte sie noch fester.
Sie machte sich von mir los. »Für dich scheint es in Ordnung zu sein. Aber dass sich andere Personen Gedanken um dich machen und Angst um dich haben, das ist dir scheißegal!«
Sie stemmte die Arme in die Hüften, ging kopfschüttelnd von einem Zimmer zum anderen. Immer wieder hörte ich sie fassungslos ausrufen.
»Unglaublich!«
»Diese Schweine!«
Als sie zu mir zurückkam, hatte sie sich halbwegs unter Kontrolle. Mit einem Taschentuch versuchte sie, das verschmierte Make-up wegzuwischen.
»Komm her«, sagte ich. Sie setzte sich zu mir auf die Sofakante. Ich nahm das Taschentuch und säuberte ihr Gesicht.
»Mit einem Einbruch habe ich auch nicht gerechnet«, sagte ich schließlich. »Glaubst du, ich wäre sonst aus dem Krankenhaus abgehauen?«
»Aber warum? Wer hat das getan?«
»Wer immer es war, er hat etwas gesucht«, sagte ich.
»Und was? Hast du eine Ahnung?«
Ich nickte, sagte aber nichts. Ich tat es nicht gern, aber ich musste neutral sein.
»Was hast du auf der Falkenburg oben im Gebüsch verloren?«, fragte ich nun meinerseits.
Sie runzelte die Stirn. »Spinnst du jetzt total? Was hat das mit dem Chaos hier in deiner Wohnung zu tun?«
Auch wenn ich mich dafür hätte ohrfeigen können, ich musste ihr die folgende Frage stellen: »Du hast mich gefragt, ob ich auf der Falkenburg etwas gefunden hätte, was dir gehört.«
»Ja und?« Ihr Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
»Die Antwort ist: Ich habe etwas gefunden ...«
In dem Moment waren weitere Schritte auf der Treppe zu hören. Duffy betrat die Wohnung. Er trug ein Tablett mit Sandwiches und platzierte es auf dem sowieso schon überladenen Tisch.
Er begrüßte Maren förmlich, setzte jedoch völlig
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