Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blut und Rüben

Blut und Rüben

Titel: Blut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Voehl
Vom Netzwerk:
Ich sagte es ihr.
    »Sie müssen zum Tee kommen!«, verlangte sie. »Wir erörtern es im großen Kreis und brauchen Ihren Rat. Und Ihre Hilfe!«
    Ich legte auf. Als ich mich aus dem Bett erhob, spürte ich die Schmerzen in der Rippengegend. Das verhieß nichts Gutes. Als ich mir an die Rippen fasste, fühlte ich, dass der Verband feucht war. Es war Blut. Die Wunde war wieder aufgegangen.
    Ich hatte noch eine Tablette. Eine einzige. Zumindest half sie gegen die Schmerzen. Ich wog sie in der Hand, dann warf ich sie wutentbrannt gegen die Wand.
    Luna winselte. Sie musste hinaus. Aber ich konnte ihr noch nicht einmal die Tür öffnen.
    Meine Wut auf mich selbst wuchs. Um mich herum passierten die fürchterlichsten Dinge, und ich war dumm genug, zu glauben, dass ich in meinem momentanen Zustand etwas dagegen ausrichten könnte. Ich hatte noch nicht einmal Armin eine Stütze sein können.
    Ich zog das Playmobilmännchen hervor, das ich seit Marens erstem Besuch bei mir trug. Ich war ein Astronaut. Ich war zu hoch geflogen. Es wurde Zeit, dass ich wieder auf der Erde landete. Der Glücksring, den das Männchen trug, war ebenfalls ein Zeichen. Ich durfte nicht länger nur auf mein Glück vertrauen. Oder auf irgendwelche Visionen.
    Ich muss auf meinen Verstand setzen.
    Mein Entschluss stand fest. Ich griff zum Telefon. Ich musste mich zweimal verbinden lassen, ehe ich Hölderlin an der Strippe hatte.
    »Ich komme direkt aus dem Operationssaal«, begrüßte er mich. Seine Stimme klang müde.
    »Sie hatten recht«, sagte ich. »Ich bin ein Idiot.«
    »Gut, dass Sie es endlich einsehen.«
    Ich berichtete ihm, dass die Wunde wieder blutete.
    »Der Ellenbogenstoß gestern«, sagte er. »Allerdings wären Sie auch ohne den nicht glücklich geworden.«
    »Wie schnell schaffen Sie es, mich wieder hinzubekommen?«
    »Das liegt an Ihnen. Wir haben von unserer Seite alles getan. Was Sie jetzt brauchen, ist Ruhe und medizinische Versorgung rund um die Uhr. In einer Woche könnte ich Sie ruhigen Gewissens entlassen. Das heißt nicht, dass Sie dann kerngesund sind. Ich empfehle Ihnen unbedingt eine Reha. Sie haben sicherlich auch ein Trauma.«
    Eine Woche ...
    Ich ließ mir den Gedanken durch den Kopf gehen. In einer Woche konnte – viel passieren ... Aber es half nichts. In meinem jetzigen Zustand war ich jedem nur eine Last.
    Dann ließ ich mich mit der Zuckerfabrik in Lage verbinden. Man stellte mich so lange durch, bis ich schließlich einen der Leitenden, einen Doktor Haselmann, an der Strippe hatte. Als ich ihm erklärte, dass ich mich gerne in der übernächsten Woche mit ihm treffen wollte, war er nicht abgeneigt.
    Wenn ich geahnt hätte, dass die folgende Woche die letzte ruhige Zeit für mich bedeuten würde, hätte ich sie wahrscheinlich genossen.
    So aber fühlte ich mich, als ginge ich zu meiner eigenen Hinrichtung.

III. V ORSTELLUNG
    Mag dir dies und das geschehn,
    lerne still darüber stehn.
    (Christian Morgenstern)
    Als sie aufwachte, war sie an Beinen und Armen gefesselt. Die Lederbänder schnitten tief ins Fleisch. Um sie herum war Dunkelheit.
    Sie konnte sich nicht erinnern, wie sie hierhergekommen war. Nur ganz langsam kamen einige Bilder zurück: Sie hatte die Tür geöffnet, weil es geklingelt hatte. Sie hatte den Postboten erwartet. Aber es war nicht der Postbote gewesen.
    Sondern ein Fremder. Ein großer Mann, der sie gleich zurück in die Wohnung gestoßen hatte. Er hatte sich auf sie draufgesetzt und sie gefesselt. Als sie um Hilfe geschrien hatte, hatte er ihr irgendetwas in den Mund gestopft. Es hatte geschmeckt wie eine nasse Socke. Sie hatte nach Luft gerungen und war schließlich in Ohnmacht gefallen.
    Der nasse Socken war aus ihrem Mund verschwunden, aber den pelzigen Geschmack hatte sie noch immer auf der Zunge.
    Wie lange lag sie schon hier?
    Kaum hatte sie sich die Frage gestellt, da hörte sie Schritte.
    Und die Angst kam wieder hoch. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie zog die Beine und die Arme an und krümmte sich zusammen wie in Embryohaltung.
    Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, dann wurde eine Tür geöffnet. Ein schwacher Lichtschein drang herein.
    Sie schloss die Augen und stellte sich schlafend. Schritte näherten sich ihr. Schwere Schritte. Jemand beugte sich zu ihr herab und überprüfte die Lederriemen. Der Mann atmete schwer. Sie vermutete, dass es derselbe war, der sie in ihrer Wohnung überwältigt hatte.
    Seine große schwielige Hand schob sich unter ihren Pullover. Langsam tastete

Weitere Kostenlose Bücher